Interview: Max Gleschinski über »Kahlschlag«
Max Gleschinski am Set von »Kahlschlag« (2018). © UCM.ONE
Herr Gleschinski, Ihre Produktionsfirma trägt den Namen »Von Anfang Anders Filmproduktion«. Was war bei »Kahlschlag« anders?
Ich glaube, von Anfang anders war, dass weder ich noch die Teammitglieder eine Filmhochschule besucht haben, sondern, dass wir vor allem Freunde sind, die bis dahin semiprofessionell Kurzfilme, Werbung und Musikvideos gedreht haben und damit auch erst seit kurzem Geld verdient haben. Nichtsdestotrotz hatten wir die absurde Idee, einen Langfilm zu drehen, ohne Aussicht, einen Sender oder größere Fördertöpfe ins Boot holen zu können. Wir waren also plötzlich fünf Wochen im Wald unterwegs und arbeiteten jeden Tag morgens bis abends am Film. Dazu kam die Nachproduktion – das alles nicht um Geld zu verdienen, sondern nur, damit es diesen Film überhaupt gibt. Dazu kam, dass wir den Film in unserer Heimat Mecklenburg-Vorpommern gedreht haben, wo es zu dem Zeitpunkt keine Infrastruktur für Spielfilme gab. Es gibt dort viele Leute, die NDR-Reportagen drehen, Dokumentar- und Industriefilme, aber Spielfilm gab es hier oben noch nicht. Andererseits sind die Leute hier noch nicht so übersättigt mit Anfragen, während in Berlin wohl jedes Café schon tausendmal als Location angefragt wurde.
Hat sich das inzwischen geändert?
In Mecklenburg-Vorpommern ist der Weg mittlerweile geebnet. Bisher gab es eine kulturelle Filmförderung mit einem kleineren Etat, ohne die wir auch den Film nicht hätten machen können. Die haben uns 10.000 Euro gegeben, was schon ein großer Vertrauensvorschuss war. Jetzt gibt es in Mecklenburg-Vorpommern, wie in anderen Bundesländern, eine wirtschaftliche Filmförderung, die auch Leute hierher lockt.
Waren die 10.000 Euro das einzige Geld, das sie aus öffentlicher Hand bekommen haben?
Wir haben auch 3900 € von der hanseatischen Bürgerstiftung in Rostock bekommen. Daneben hatten wir eine Crowdfunding-Kampagne gestartet und konnten ein paar Unterstützer aus der Wirtschaft gewinnen.
Was ist das Besondere an Mecklenburg-Vorpommern für Sie?
Das Besondere für mich ist neben der Koexistenz von Tourismus und Abgehängtheit der norddeutsche Menschenschlag: nicht mehr reden als nötig. Vor allem ist mir aufgefallen, dass Leute nicht über ihre Probleme reden – das wird hinter verschlossenen Türen mit sich selbst ausgemacht. Da stauen sich Sachen auf. Das kenne ich aus meiner Heimat nur zu gut. Ich bin hier in Mecklenburg geboren und aufgewachsen. Einige Orte meiner Kindheit, wie etwa der See oder das Dorffest,finden sich auch im Film wieder. Ich wollte einen Film machen über etwas, was ich kenne.
War das der Ausgangspunkt für Ihre Geschichte: Leute, die über Probleme nicht reden?
Das hat sich nach und nach zusammengefügt. Zuerst war die Idee da, hier überhaupt einen Film zu machen. Dann habe ich verschiedene Ideen, die auch hätten Kurzfilme werden können, zu einem kleinen Puzzle zusammengefügt und daraus ein Drehbuch entwickelt. Aber bereits in den frühen Fassungen des Drehbuchs war die Haupthandlung, dass zwei Freunde zum Angeln an einen See fahren und dort über ihre Vergangenheit sprechen. Uns war wichtig, so wenig Orte wie möglich bespielen zu müssen. Bei der Angelstelle war außerdem gut, dass wir permanent mit natürlichem Licht arbeiten konnten. Außerdem hatten wir nur zwei Figuren in dieser Kernhandlung. Das hat sich aber später durch die verschiedenen Rückblenden und Handlungsstränge ausgeweitet. Anfangs war uns klar: wir wollen einen Genrefilm, einen Thriller machen. Das ist etwas, was wir selber gerne im Kino sehen, was in Deutschland aber viel zu selten gemacht wird. Stück für Stück traten dann aber die persönlichen Welten der Figuren ins Zentrum des Films. Eigene Familienkonstellationen und Heimatfragen, wie »Bleibe ich hier oder ziehe ich weg?«, kamen ins Drehbuch. Dann brachten sich natürlich auch die Schauspieler ein und der Genrefilm wurde mehr und mehr zum Drama. Diese Wandlungen haben wir immer zugelassen. Auch im Schnitt hat sich noch einmal die Struktur geändert. So war das eigentlich ein gutes Lehrstück für uns – »meine Filmhochschule« sage ich, wenn Leute fragen. Statt vier Jahre eine Filmhochschule zu besuchen, haben wir drei Jahre unseres Lebens an diesem Film gearbeitet.
Zwei ihrer drei Hauptdarsteller wurden bereits bei einem Festival für »Kahlschlag« ausgezeichnet. Wie sind Sie auf die drei gekommen?
Der erste, der an Bord war, war Florian Bartholomäi, den ich auf den Rat eines Schauspielkollegen kontaktiert habe. Er ist Sympathieträger, macht auch Kampfsport und hat Lust auf derart wilde Sachen. Er hat das Drehbuch gelesen, wir haben uns getroffen und die Zusammenarbeit wurde sofort mit einem Handschlag besiegelt. Bernhard Conrad haben wir durch ein E-Casting gefunden, wofür er eine Szene mit dem Handy aufgenommen hatte. Er hat dabei eben nicht den bedrohlichen Psychopathen, sondern einen wohlwollenden Freund gespielt. Das war einfach ein sehr verständnisvoller Ansatz, sich der Rolle zu nähern. Maike Johanna Reuter kannte ich bereits, weil sie an der Schauspielschule in Rostock studiert hat und ich sie 2015 bei einem Filmdreh bereits als sehr begabte und energiegeladene Schauspielerin kennengelernt habe.
Bernhard Conrad spielt eine Doppelrolle, die Zwillingsbrüder tauchen in vielen Szenen zusammen auf. Wie haben Sie das bewerkstelligt?
Das war schon eine Herausforderung für Bernhard, aber er hat sich schon vorher viele Gedanken darüber gemacht und war perfekt vorbereitet. Bei der Szene mit beiden Brüdern in der Wohnung haben wir zuerst die linke Bildhälfte mit dem einen Bruder und dann die rechte mit dem anderen gedreht. Glücklicherweise hatte mein Kameramann Jean-Pierre Meyer-Gehrke, mit dem zusammen ich auch die Produktionsfirma gegründet habe, einen ziemlich guten Plan, was solche Effekte anbelangt. Eine Herausforderung war die Szene auf dem Dorffest für die Eröffnungsszene. Wir haben auf einem tatsächlichen Dorffest, dem »Ziegenfest« gedreht und hatten für die Tanzszenen und die Szenen zwischen den Zwillingsbrüdern insgesamt nur eine dreiviertel Stunde zur Verfügung. Und davon ging noch eine Viertelstunde für den Maskenwechsel Bernhards vom einen zum anderen Bruder ab.
Es gibt eine Badewannenszene mit zwei der Protagonisten. Aus der sprach für mich eine große Nähe der beiden Figuren. Wie haben Sie das hingekriegt? Haben Sie die Szene erst gegen Ende der Dreharbeiten gedreht?
Diese Szene war bereits im Drehbuch unser Liebling. Sie war aber auch eine Herausforderung, da wir durch den engen Zeitplan von Maike, die damals eine Hauptrolle in der RTL-Daily-Soap »Alles was zählt« in Köln spielte, am selben Tag eine sehr niederschmetternde Szene drehen mussten. Maike und Bernhard mussten also innerhalb kürzester Zeit aus einer totalen Distanz zu einer großen Nähe finden. Wir haben das mit einem ganz kleinen Team gedreht: nur ich, der Kameramann, der Tonmann und die beiden Schauspieler — bei mir zu Hause, in meiner Badewanne.
Hatten Sie bei diesem Low-Budget-Film überhaupt Zeit für Proben?
Da mein Kameramann und ich auch produziert haben und uns um viele organisatorische Dinge kümmern mussten, konnten wir viele kreative Entscheidungen erst beim Dreh treffen, für den wir 27 Tage mit den Schauspielern hatten. Ich hatte aber zum Glück die Möglichkeit, mich eine Woche vor Drehbeginn mit den Dreien in Berlin zu treffen und zu proben.
Der Film hat eine komplexe Struktur mit den vielen Rückblenden. Haben Sie die im Detail erst im Schnitt festgelegt?
Die Rückblendenstruktur stand schon im Drehbuch, aber wo sie dann jeweils eingefügt wurden, wurde im Schnitt diskutiert. So tauchte die jetzige Anfangsszene auf dem Fest im Drehbuch beispielsweise erst nach 25 Seiten auf. Aber da dort alle Figuren und auch die Konflikte schon etabliert werden, entschieden wir, dass sie gut für den Anfang des Films geeignet wäre.Solche Entscheidungen gab es immer wieder.
Durch das sächsische Touristenehepaar kommt ein anderer, karikierender Tonfall in den Film – ist das eine Anspielung, die nur die Einheimischen verstehen?
Das ist für uns seit Jahrzehnten ein sommerliches Phänomen: die vielen sächselnden Touristen. Das war aufgrund des tonalen Wechsels schon im Drehbuch ein Streitpunkt. Wir haben Testvorführungen gemacht, wo die Meinungen 50:50 dafür und dagegen waren, haben aber letztlich gedacht, wenn wir einen Film so machen können, wie wir es wollen, dann lassen wir diese Szenen drin. Ich mag tonale Wechsel sehr gerne – auf der anderen Seite ist es auch ein erzählerischer Trick, der Frenni die Möglichkeit gibt, zu den beiden Männern an den See zu gelangen, ihr dabei in der sächsischen Familie aber auch ihre Sorgen und Ängste zu spiegeln.
Der Film hat in Hof 2018 den Förderpreis bekommen und ist auch bei mehreren, auch ausländischen, Festivals gelaufen. Haben sich daraus neue Möglichkeiten für Sie ergeben?
Es ist gerade viel in Bewegung. Ich habe in Mecklenburg-Vorpommern zwei Stoffentwicklungsförderungen bekommen. An den Drehbüchern arbeite ich mittlerweile zusammen mit Produktionsfirmen.
Sie haben vorher neben Kurzfilmen auch Musikvideos für die Band »Feine Sahne Fischfilet« gedreht. Wie sind Sie mit der zusammengekommen?
Mein bester Freund, der Kameramann Jean-Pierre Meyer-Gehrke, hatte für die Band schon von Beginn an Videos gemacht und ist ein enger Freund der Band. 2015 haben wir den ersten Clip gemeinsam gedreht, dazu einen kleinen Dokumentarfilm; Jean-Pierre hat auch bei Charly Hübners Dokumentarfilm über die Band, »Wildes Herz«, mitgearbeitet. Als wir dann »Kahlschlag« machten, war klar, dass wir für eine MV-Repräsentantenrolle wie »Speiche« den Sänger der Band, Monchi, anfragen. Und tatsächlich hat er uns mit seinen schauspielerischen Fähigkeiten in »Kahlschlag« sehr überrascht.
Kann man dann damit rechnen, dass Sie irgendwann einmal einen Rostocker »Polizeiruf 110« mit Charly Hübner inszenieren werden?
Solche Gespräche gab es noch nicht, aber ich hätte schon große Lust darauf.Das ist ja mein Zuhause, durch diese Straßen gehe ich jeden Tag.
Hat Charly Hübner »Kahlschlag« schon gesehen?
Ich habe vor zwei Wochen mit ihm gesprochen, als er an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock war, wo jetzt ja auch Andreas Dresen unterrichtet. Gesehen hat er ihn noch nicht. Ich hoffe natürlich, dass er ihn auf der großen Leinwand sieht.
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