Interview: Christian Alvart über seinen Film »Freies Land«
»Freies Land« ist ein Remake des spanischen Films »La isla mínima – Mörderland«, der in Deutschland nur einen sehr kleinen Kinostart kurz vor der DVD-Veröffentlichung hatte. Wie sind Sie auf ihn gestoßen?
Auf ihn gestoßen ist die Telepool, genauso wie auch schon bei meinem vorangegangenen Kinofilm »Steig! Nicht! Aus!«. Das sind Filme, die die Telepool als Käufer auf dem Weltmarkt angeboten bekommt. Sie schätzten deren tolle Qualität, sehen aber für den deutschen Markt Schwierigkeiten, ein großes Publikum zu finden. Das Modell, das wir gemeinsam ausprobieren, ist, von solchen Filmen die Rechte erwerben und ein deutsches Remake herzustellen – warum sollen das immer nur die Amerikaner machen? In diesem Fall war es so, dass mein Partner bei Syrreal Entertainment, der Produzent Sigi Kamml, und ich schon länger nach einem Stoff suchten, der in der Nach-Wendezeit spielt, weil das eine große Umwälzung war und daher interessant für einen Thriller-Stoff. Es gab ja schon historische Nacherzählungen, den Freudentaumel, die Stasi-Aufarbeitung, das Sozialdrama und die Ostalgie-Komödie. Ich finde aber, dass die Geschichte der Angst aus dieser Zeit noch nicht erzählt wurde – Angst als Triebfeder menschlichen Handelns. Das Angebot der Telepool war perfekt, weil der Originalfilm zwar den Roten Faden der Thrillergeschichte hat, aber in Stimmung und Atmosphäre der Zeit übertragbar war. Der Krimi dient lediglich als Plotmotor, in den Bildern und den Gesichtern konnte man etwas Eigenes, sehr Deutsches daraus machen.
Wenn die Kriminalhandlung eher der Auslöser ist für das Porträt einer Zeit und der Menschen, fällt der Film dadurch nicht zwischen die Stühle, zwischen Arthouse und Multiplex?
Das ist mindestens bei der Hälfte meiner Filme so. Es ist halt das, was ich selber mag. »Freies Land« ist wirklich in dem Bereich gelandet, wo ich selber mit Vorliebe Filme für den Kinobesuch aussuche: wo nicht nur der populistischen Massengeschmack bedient wird und alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht wird, aber man ist auch nicht völlig im zugespitzten Arthouse-Bereich, wo sich nur noch eine ganz schmale Klientel überhaupt unterhalten fühlt. Das ist das große Pech unserer Zeit, dass das so auseinander driftet. Ich gehe auch an solche Filme nicht mehr heran mit der Erwartung: wir müssen hunderttausend Zuschauer machen. Wenn ich die Idee alleine gehabt hätte, wäre der Weg das wirklich machen zu dürfen, sehr, sehr weit gewesen. Das Angebot war für mich also eine historische Gelegenheit – auch, dass ich mit so einem langen Atem erzählen darf. Das schätze und genieße ich sehr an Filmen, die ich selber schaue, aber das wird einem oft in der Nachproduktion ausgetrieben vom Sender oder vom Verleih – alles muss immer schneller sein. Ich bin sehr glücklich, dass hier der Verleih und der Sender, das ZDF mit seinem Montagskino, den Film in der Länge gelassen haben und in der Atmosphäre, wie ich ihn gemacht habe. Das ist nicht oft in meiner Karriere der Fall gewesen. Schon »Antikörper« ist übrigens auf diesem Sendeplatz gelaufen, eigentlich mein liebster Sendeplatz im Fernsehen: du hast keine längenmäßigen Beschränkungen, keine FSK-Probleme, das Publikum ist gewöhnt an richtiges Kino, das erwarten sie auch, es ist ein jüngeres Publikum, soweit ich weiß, der jüngste Sendeplatz im ZDF.
Die Telepool hatte gar keine Bedenken in Hinblick auf Länge und Düsternis?
Nein, von denen kam ja die Idee, sie werden schon wissen, welche Nischen sie damit bedienen. Ein Großteil meiner Projekte wird international von der Telepool vertrieben. Sie wissen, dass sie meine Filme verkaufen können. In Deutschland bin ich ja in einer Nische mit dem, was ich mag. Der einzige Grund, warum das funktioniert, ist der, dass meine Filme im Ausland im Kino laufen. Und das wissen sie besser als jeder andere, weil sie diese Verkäufe tätigen. »Steig! Nicht! Aus!« war in Deutschland ein Flop, ist aber – international gesehen – einer meiner am bestlaufenden Filme. Ich denke, dass sie auch bei »Freies Land« eine Mischkalkulation gemacht haben, der Film ist ja nicht teuer, ich glaube, er hat ein Sechstel von dem gekostet, was »Das perfekte Geheimnis« gekostet hat. Wenn man die Vorlieben hat, die ich habe, kann man sich nur am Markt behaupten, wenn man sagt, »ich mache das – aber günstig.«
Ein Kapital des Films sind die beiden Hauptdarsteller. Wie sind Sie auf die beiden gekommen?
Ich habe eine kleine Liste von Leuten, mit denen ich in Deutschland unbedingt arbeiten will. Dazu gehört auch Trystan Pütter, er hat ein Charisma und einen Charme, das kann man nicht herstellen, wenn man es nicht schon hat. Ich wusste aber auch, dass er eine verschlossene Seite hat, die er in diesem Projekt einmal zeigen konnte.
Felix Kramer spielte bereits eine Hauptrolle in Ihrer Netflix-Serie »Dogs of Berlin«.
Der war für »Dogs« ein Fund der Casterin Suse Marquard, die ihn schon sehr lange platzieren möchte, weil sie früh an ihn geglaubt hat. Sie hat ihn zum Casting eingeladen und er hat sich die Rolle dort erarbeitet. Wir hatten alle möglichen bekannten Schauspieler da, aber er war so sehr dieser Kurt, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Gerade wenn man die Figuren über so lange Zeit entwickelt wie bei »Dogs«, wo ich 2006 damit angefangen habe, dann ist der Moment, wo man dieser Figur plötzlich begegnet, ein entscheidender. Da Felix in »Dogs« einen moralisch fragwürdigen Polizisten gespielt hatte und hier einen moralisch fragwürdigen Polizisten spielen sollte, habe ich zwei Wochen lang gezögert und bin in mich gegangen: Ist das jetzt das zu Naheliegende, bin ich gedanklich zu faul? Bei ihm waren es dieselben Überlegungen. Wir haben dann lange darüber diskutiert, was an dieser Figur anders sein könnte. Wir haben sie richtig bausteinartig zusammengesetzt: was zeichnet sie aus? Wir haben sehr viel über das Seelenleben dieser Figur geredet und über ihre äußerliche Erscheinung. Felix hat sich zwanzig Kilo angefressen, damit das auch für den Zuschauer sichtbar eine andere Figur war, und auch ein Kontrast zu Trystans Figur.
Haben Sie vorsichtig angefragt, ob er sich das mit den zwanzig Kilo vorstellen könnte?
Ich habe gesagt, ich sehe den mit Übergewicht, weil er ein Paket mit sich herumschleppt. Er meinte, das könne er sich vorstellen. Wenn aber, dann solle das echt sein. »Echt ist mir viel lieber«, sagte ich. Dadurch, dass ich wusste, er macht es wirklich, entstand dann diese erste Begegnung der beiden, wo er im Hotelzimmer mit seiner ganzen fleischlichen Masse aus der Dusche kommt.
Ihre nächste Arbeit, die 360minütige Serie »Sløborn« für das ZDF, haben Sie bereits abgedreht, so wie Sie überhaupt sehr produktiv sind…
Ich mag es gern, ich habe auf jeden Fall mehr Ideen, die ich umsetzen will, als Lebensjahre. Wenn ich nur Sachen machen könnte, für die ich heute schon wirklich brenne, hätte ich schon gut zu tun. Da sind aber noch keine Angebote von außen mitgezählt, ich schaue ja auch sieben bis acht Filme die Woche. Ich liebe das einfach mehr als alles andere und es würde mir sehr schwer fallen, wenn ich auf so viel verzichten müsste, indem ich jetzt weniger arbeite. Es ist viel, aber es ist wirklich mit Leidenschaft.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns