Internationales Frauenfilmfestival Dortmund/Köln
»Lange Weile« (2016)
Das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund/Köln legte in diesem Jahr neben seinem gewohnten Programm einen filmischen Schwerpunkt auf: »Nach der Wende 1990 | 2020«
Das Möbel selbst fehlte zwar. Doch die Sitzordnung des knappen Dutzends Teilnehmerinnen im weiten Kreis vor dem Zuschauerraum beschwor nicht nur bei Festivalleiterin Maxa Zoller den Assoziationsraum »Runder Tisch« herauf. Das passte doppelt. Denn beim Abschlussgespräch in der durch Corona spärlich bestuhlten Aula der Kölner Kunsthochschule für Medien sollte es dezidiert um den möglichst gleichberechtigten Austausch zwischen den eingeladenen Filmemacherinnen und den einladenden Kuratorinnen des Internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund | Köln gehen. Und auch inhaltlich knüpfte die Runde an die Jahre nach 1990 an. Denn zum dreißigsten Jahrestag des Mauerfalls hatte auch das IFFF – neben den dauerhaft gesetzten Sektionen wie Debüt-Wettbewerb und Queer-Filme – unter dem Tit|el »Nach der Wende 1990 | 2020« den filmischen Blick auf jene Zeit zum Fokus gemacht.
Das mag jetzt im November nach gefühlt tausend Stunden Sondersendungen zum Thema abgeschmackt klingen, hatte aber zum (aus dem Frühling verschobenen) Festival-Zeitpunkt Anfang September noch echten Drive. Eingeladen waren Filme mit höchst unterschiedlichen Filmsprachen und Ansätzen. Grit Lemkes Filmdebüt »Gundermann Revier« akzentuiert als persönlich inspiriertes dokumentarisches Gegenstück zu Andreas Dresens Spielfilm über den Musiker dessen Leiden am Verlust seines Heimatlandes. Annekatrin Hendel (»Vaterlandsverräter« 2016) und Tamara Trampe (»Der schwarze Kasten« 1992) waren mit außergewöhnlich komplexen Studien zu IM-Mitarbeitern eingeladen. Die Fotografin Tina Bara dokumentiert in »Lange Weile« (2016) als 62-minütige Fotocollage die randständige Lebensweise der damaligen Künstler- und Mode-Bohème im Berliner Prenzlauer Berg. Die junge Generation vertrat die Potsdamer Filmstudentin Thanh Nguyen Phuong mit dem visuell traditionelle Holzschnitttechniken zitierenden Kurzfilm »Sorge 87«, der multiperspektivisch von den vietnamesischen TextilarbeiterInnen aus der Generation der eigenen Eltern in Sachsen erzählt.
Eröffnet wurde das IFFF als erste real stattfindende (allerdings deutlich abgespeckte) Veranstaltung in NRW nach dem Corona-Loch mit der deutschen Premiere eines Films der in Ostberlin aufgewachsenen Regisseurin Ines Johnson-Spain, der eine persönliche und bisher ungehörte Perspektive auf das Aufwachsen in der DDR bereithält. Es ist die Geschichte der Regisseurin selbst, die nach einem Seitensprung ihrer Mutter mit einem togolesischen Gaststudenten als sichtbar abweichend aussehende Tochter in einer komplett weißen Familie aufwuchs. Verwirrend, dass alle in der Umgebung des Mädchens diese Andersartigkeit negieren und ihr die Wahrheit oder eine einigermaßen vernünftige Erklärung verweigern. So bleibt ihr nichts anderes übrig, als irgendwann selbst die Recherche aufzunehmen. »Becoming Black« ist das starke Resultat siebenjähriger Arbeit der Regisseurin und verbindet eine facettenreiche Bestandsaufnahme mit emotionaler Intensität.
Johnson-Spain betonte nach der Vorstellung im Kölner Filmpalast, dass sich das Frauenfilmfestival für ihren Film zur Eröffnung entschieden hatte lange bevor »Black Lives Matter« das Thema Rassimus nach vorne bringen sollte. Bei der anfangs erwähnten Abschlussdiskussion sprach sie sich vehement gegen eine kollektive Vereinnahmung aus, was nach einigem diskursivem Geplänkel allgemeine Zustimmung fand: Der »Osten« als Westprojektion, zu der in der Filmförderung auch die Fixierung auf den Komplex Staatssicherheit gehört. Umgekehrt dürfte das Kölner Treffen auch einige antifeministische Vorbehalte gegenüber der Institution »Frauenfilmfestival« abgebaut haben. Sichtbar wurden aber auch andere soziale Brüche, wenn Thanh Nguyen Phuong bemerkte, sie fühle sich oft wie ein Alien in der smarten Film- und Festivalwelt (»Meine Eltern verkaufen gebratene Nudeln«). Mehr Diversität also auch in diesem Sinn!
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