Duisburger Filmwoche
»Rift Finfinnee« (2020)
Die Duisburger Filmwoche ist das Festival des deutschsprachigen Dokumentarfilms. Ein Festival ohne Premierenanspruch, zu dem aber die Diskussion nach dem Film verbindlich gehört. Eigentlich
Es war natürlich Zufall, dass die Filmwoche am Montag mit einem Film aus Wien eröffnet wurde. Doch wenn zu dessen Beginn drei Männer gesetzteren Alters in einem Heurigenlokal zu Akkordeon und viel Schmalz das Wienerlied »Wann die Welt amol stirbt« anstimmen, klang das an diesem Abend auch wie ein Kommentar zu den gewaltsamen Ereignissen, die parallel in der realen Welt in einem anderen Wiener Ausgehviertel stattfanden. »Aufzeichnungen aus der Unterwelt« heißt der Film von Tina Cozzi und Rainer Frimmel, die mit ihren Filmen Stammgäste in Duisburg sind. Diese Unterwelt ist jenes Wiener Strizzimilieu, das einer der singenden Herren in seiner Jugend in den 60ern und 70ern heftig mitprägte: blutige Jahre mit illegalem Glücksspiel, Schießereien, Überfällen und vielen Leichen. Aber auch gemütlichere Zeiten, sagt einer der Exgangster.
Als zum 2.11. die Kinos in NRW geschlossen wurden, musste auch die im zweiten Jahr von Gudrun Sommer und Christian Koch geleitete Filmwoche ihr ausgetüfteltes Konzept mit Satellitenkinos von Berlin bis Zürich komplett auf online umstellen. Begonnen hatte sie schon einen Tag vor der offiziellen »Eröffnung« mit einem Zoomkonferenztag, der sich mit dem Boom des Seriellen auch im nichtfiktionalen Bereich beschäftigte und dabei auch auf den internationalen Markt schaute. Als Filmprojekt am spannendsten war mit Marie Wilkes »Höllental« aber eine deutsche Produktion, die den Mordfall Peggy Knobloch als Sechsteiler aufgreift. Dass die jahrzehntelangen stolpernden Ermittlungen ein für das horizontale Erzählen prädestiniertes Sujet seien, fand neben der Regisseurin auch die Redaktion des »Kleinen Fernsehspiels«, die ihr erstes serielles Projekt offen ausgeschrieben hatte. Überzeugt waren sie aber auch von den bisherigen Arbeiten der Regisseurin (u. a. »Aggregat«), die die ersten Minuten der Serie selbst vorstellte. Diese machten mit einer souverän rhythmisierten bedächtigen Annäherung an den Schauplatz des Verbrechens Lust auf mehr – und zeigen, dass »true crime« keineswegs sensationalistisch sein muss. (8.1.2021, ZDF)
Nicht jeder Film eignet sich für die kleine Screen. Und ist es nicht eigentlich kriminell, einen Tanzfilm wie Patric Chihas »If It Were Love« mit seinen Körperlichkeiten und Emotionen am Schreibtisch zu sehen? Oder die detailreichen Totalen und die delikate Tonmischung von »Rift Finfinnee« auf dem Laptop im Wohnzimmer zu erleben, wo Außengeräusche und Lichteinfälle stören? Beide Filme leisten aber Widerstand genug, »If It Were Love« hat mit seiner sinnlichen Intensität sogar die arte-Jury bezwungen. »Rift Finfinnee« zieht eher durch Zurückhaltung in den Bann. Der Film, der Regionen an der wuchernden Peripherie von Addis Abeba erkundet, wo die Stadt mit schnell gebauten Mietshäusern die ansässigen Bauern heimatlos gemacht hat. Zu den von Regisseur und Kameramann Daniel Kötte entworfenden Tableaus kommentieren Menschen mit leiser Stimme die Situation. Tektonische Verschiebungen, in ganz konkretem und in allegorischem Sinn.
Der 3sat-Preis ging an Sabine Herpichs großartiges im Berlinaleforum uraufgeführtes Porträt einer Spandauer Kunstwerkstatt und einiger der dort arbeitender Künstler- und Nichtkünstler. Der Film mit dem schönen Titel »Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist« brachte es aus Corona-Gründen bisher nicht regulär ins Kino. Carmen Losmanns »Oeconomia« war Mitte Oktober wohl eine der letzten Dokus mit einer regulären Kinotournee in Deutschland, gehört aber wie Aysun Bademsoys Würdigung der NSU-Opfer »Spuren« (Publikumspreis) wegen seiner formalen und inhaltlichen Qualitäten unbedingt auf die Filmwoche.
Auffällig im diesjährigen Programm war eine große Zahl von Filmen, die sich im intimen Raum bewegen – oft mit jugendlichen Protagonisten. Etwa die Gruppe pubertierender Schweizer Kinder, die Benjamin Bucher und Agnese Làposi in einem ebenso luftigen wie gewichtigen Kurzfilm bei einer kleinen Schulreise begleiten. »Zu Dritt« beweist auf schönste Art, dass große Dokumentarfilmkunst keine großen Themen oder Thesen braucht. Gespräche aber schon. Und so fehlten – trotz eines vielseitigen Online-Begleitprogramms – die in Duisburg sonst so gewichtigen und oft sehr produktiven Diskussionen mit den Filmschaffenden nach den Filmen schon sehr.
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