Die Jury ist jetzt online
Eröffnung des DOK.fest München 2019 im Deutschen Theater
Das Corona-Virus hat den internationalen Festivalbetrieb lahmgelegt. Lahmgelegt? Nicht ganz. Viele Filmfeste, von Oberhausen bis Nyon, sind kurzfristig ins Internet umgezogen. Da fehlt zwar die Atmo. Aber es könnten sich zukunftsfähige Kommunikationsformen entwickeln
Die Berlinale hatte noch gerade Glück als eines der letzten Filmfestivals vor dem großen Corona-Shutdown. Anfang März wurden Festivals im belgischen Mons und in Luxemburg bei laufendem Betrieb abgebrochen. Dann hagelte es Verschiebungen und schließlich Absagen für im März, April und sogar später geplante Veranstaltungen. Manche sträubten sich noch lange gegen die bittere Realität, wie das für Mitte März angesetzte Internationale Frauenfilmfestival IFFF in Köln, das fast verzweifelt versuchte, mit Hygienevorkehrungen und Selbstbeschränkungen (keine Grüppchenbildung nach dem Film) das Festival in verändertem Rahmen doch noch stattfinden zu lassen. Dem kam zehn Tage vor Beginn die Verwaltung der Stadt Köln mit dem Komplettverbot sämtlicher Veranstaltungen zuvor. Auch die Streichung der für Ende März geplanten und für die österreichische Filmlandschaft essenziellen Diagonale in Graz wurde durch einen ministeriellen Erlass aus Wien angeordnet. Das ist wichtig für die finanzielle Verantwortung der Veranstaltung.
Das IFFF soll nun in einer kompakten Ausgabe im Herbst stattfinden. Doch Verschiebungen sind gerade bei den größeren Festivals aus verschiedenen Gründen schwer möglich, wie die Diagonale-Leiter Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber in einer ausführlichen Erklärung auf der Website begründen. Einmal, weil ein Großteil des Budgets durch eingegangene Verpflichtungen schon lange vor Beginn eingesetzt oder verplant ist. Und auch die MitarbeiterInnen sind – außer der Leitung selbst – meist freiberuflich unterwegs und oft schon direkt nach dem Festivalende anderswo gebucht.
Aus dieser Not reagierte die Leitung der Diagonale mit der Etablierung eines recht breit und vielfältig aufgestellten Onlineangebots, das unter anderem bis Ende April für einen Abopreis von 4,99 Euro eine stattliche Auswahl aus Wettbewerb und Spezialprogrammen im Stream enthielt. Die geplanten (und auch gedruckten) Veröffentlichungen werden online mit textlichen Zusatzangeboten aufgepeppt. Eine besonders schöne Idee ist das sogenannte Schwarze Brett, wo teilnehmende FilmemacherInnen und Produktionen ihre Filme zu eigenen Konditionen (meist unverschlüsselt auf Vimeo) dem Publikum anbieten können. Auch das Kopenhagener CPH:DOX (18. bis 30.3.) stellte große Teile des Programms online, allerdings aus rechtlichen Gründen meist nur für ein dänisches Publikum.
Etwas mehr Zeit zur Planung als die in der heißen Phase kalt erwischten Festivals hatten die für April oder Mai geplanten Filmtreffen, die jetzt – parallel zu anderen kulturellen Initiativen und Institutionen – ebenfalls auf Onlinebetrieb umstellen. Darunter das Dokumentarfilmfestival Visions du Reél im schweizerischen Nyon (17.4. bis 2.5.), das Lichter Filmfest vom 21. bis 26. April oder die für den 13. bis 18. Mai programmierten Kurzfilmtage in Oberhausen.
»Wir sind der Auffassung, dass die Vermittlung von Kultur auch in einer gesellschaftlichen Krise aufrechterhalten werden kann und muss, und dass wir gefordert sind, kreative Lösungen dafür zu finden«, erklärt der Oberhausener Festivalleiter Lars Henrik Gass. »Wir prüfen gerade, welche unserer geplanten Programme online angeboten und welche auf das kommende Jahr verschoben werden können, aber auch, welche entfallen müssen. Es stellen sich technische, rechtliche und logistische Fragen.« Dabei scheinen angesichts der Ausnahmesituation zumindest die Fragen hinsichtlich der Kooperation mit Förderinstitutionen, Sponsoren, Rechteinhabern und Verleihern weitgehend positiv gelöst.
Gass erklärt auch, warum es für viele der Beteiligten um weit mehr geht als um ein paar tolle Tage. Denn die insgesamt fünf Wettbewerbe des traditionsreichen Festivals sind die zentrale Präsentationsmöglichkeit des Jahres für einen ganzen Jahrgang aktueller Kurzfilme und ihre oft studentischen deutschen und internationalen MacherInnen. Diese öffentliche Präsentation wiederum ist – durch Aufmerksamkeit, Preisgelder oder verpflichtende Referenzpunkte für die Filmförderung – in vielen Fällen bedeutsame Grundlage für die weitere Laufbahn, die professionelle Existenz.
Auch deshalb ist die Durchführung eines Festivals in der Onlinevariante für viele wesentlich. In Oberhausen sollen auf jeden Fall alle Wettbewerbsfilme online programmiert werden und die Jurys wie vorgesehen am 18. Mai die Preisträger bekanntgeben – mit dem kleinen Unterschied, dass allein zu Hause gesichtet und per Videokonferenz beraten wird. Aber was tut die Transformation auf dem kleinen Screen mit den für die große Leinwand gedachten Filmen? Verzerrt sie nicht den Blick auf die Ästhetik? Und kann dieses vereinzelte Vor-dem-Bildschirm-Hängen wirklich noch Festival genannt werden? Viel wird davon abhängen, ob es gelingt, die digitalen Filmschauen zu mehr als einem weiteren Abspielkanal zu machen. So erklärt Daniel Sponsel vom Dokumentarfilmfestival München (6. bis 17. Mai) es zur besonderen Herausforderung, »nicht nur Filme zur Verfügung zu stellen, sondern auch eine Programmstruktur und ein attraktives Rahmenprogramm, um ein virtuelles Festival-Feeling zu schaffen«.
Konkreter werden Konzepte hierzu bisher nur selten. Und die Idee der Visions du Reél, ausgerechnet mit einer künstlichen Begrenzung von Online-Sichtungsplätzen wie im echten Kinosaal Atmosphäre zu schaffen, klingt eher kontraproduktiv. Ausgebuchte Vorstellungen nun auch im Internet? Wichtig wäre es dagegen, Möglichkeiten zur Debatte zu schaffen. Und statt virtueller Beschränkungen böte die von außen aufgedrückte fatale Situation doch eher die Chance, die Zielgruppen der einzelnen Festivals über die bisherige Mischung aus begrenztem lokalen Publikum und angereisten Fachbesuchern hinaus zu erweitern.
Für letztere könnte der Onlinebesuch auch ein echter Mehrwert sein, wenn sie als Kreative, Produzenten oder Förderer ein virtuelles Pitching oder die Beratung im »Rough Cut Lab« besser in ihre engen Schedules einpassen können und damit auch Kosten und Unsicherheiten des Reisens sparen. So ist es durchaus denkbar, dass analog zu anderen Geschäftsbereichen in Zukunft auch im Filmgeschäft das Modell Videokonferenz größeren Stellenwert bekommt. In den nächsten Monaten werden wir praktisches Anschauungsmaterial unterschiedlicher Ausgestaltungen virtueller Festivalwelten beobachten können. Und es wird auch langsam absehbar werden, in welche Richtungen es weitergehen kann. Dass selbst bestes Bemühen dabei nicht die quirlige Jahrmarktsatmosphäre eines gelungenen Publikumsfestivals simulieren kann, dürfte allen klar sein. Denn dieses lebt ja nicht nur von den Filmen, sondern von den spontanen Begegnungen drum herum.
Es ist mehr als gerecht, dass viele Festivals unter dem Aspekt der Solidarität mit der unter Corona darbenden Filmbranche einen meist bescheidenen Obolus einfordern: Das Lichter Filmfest etwa teilt die für eine Onlineteilnahme zu zahlenden acht Euro zwischen dem Festival, dem jeweiligen Verleih und den Spielorten auf. Ganz gezielt zur Projektidee macht solche Unterstützung das neu gegründete, nur online existierende My Darling Quarantine Short Film Festival, das seit dem 16. März jede Woche sieben kuratierte Kurzfilme zu dystopischen Themen auf talkingshorts.com einstellt – mit Publikumsvoting und virtuellem Spendentopf. Mit diesem ganz auf die aktuelle Situation zielenden Konzept ist es vermutlich auch das erste Festival der Filmgeschichte, das von sich selbst hofft, nächstes Jahr wieder abgeschafft zu sein.
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