27. Internationales Filmfest Oldenburg
»Puppy Love« (2020). © Wax Recordings Ltd
Das Internationale Filmfest Oldenburg gehört zu den wichtigsten Veranstaltungen in Sachen Independentfilm in Europa. Mit einem gewohnt gut gemischten Programm ging es in diesem Jahr seine hybride Ausgabe an
Was Venedig kann, kann Oldenburg schon lange: ein Filmfestival unter Corona-Bedingungen mit Filmvorführungen (wesentlich) in Kinos zu veranstalten. Zwar durfte man ein wenig skeptisch sein, als das Festival bereits im Mai vorpreschte und man verkündete, es werde in jedem Fall stattfinden, aber diese Mitteilung hatte inmitten so vieler Absagen auch etwas Ermutigendes. Tatsächlich konnte die Hybridausgabe am Ende überzeugen.
Der Pandemie wurde Rechnung getragen, indem die Anzahl der Filme und der Spielstellen reduziert wurde. Jeder der 33 Langfilme des Programms wurde einmal auf der Leinwand gezeigt und parallel dazu als Stream, bei dem es auch noch eine Wiederholungsveranstaltung gab. Wer nur im Kino sichten wollte, konnte dort von Donnerstag bis Sonntag insgesamt 16 Filme, also die Hälfte des Angebots, sehen.
Das Filmangebot unterschied sich dabei nicht von dem, was in den 26 Jahrgängen zuvor in Oldenburg zu sehen war: unabhängige Filme, ein Dutzend davon aus den USA, der Rest aus aller Welt, einige Dokumentarfilme, etwas deutschsprachiger Nachwuchs, eine Vorpremiere und einige Fernsehfilme.
Große Erwartungen durfte man haben an einen Film, der immer wieder angekündigt wurde, bevor man ihn schließlich vergaß: eine Fortsetzung von »The Big Lebowski« der Coen Brothers (1998). Immerhin wurde »The Jesus Rolls« von John Turturro inszeniert, als Bowlingfanatiker Jesus Quintana eine der Figuren des Originalfilms. Hier kommt seine Figur zu Beginn nach vielen Jahren aus dem Knast heraus und lässt sich mit einem alten Kumpel treiben. Das Déjà-vu-Gefühl, das den Zuschauer beschleicht, bestätigt der Nachspann: Der Film ist ein (freies) Remake von Bertrand Bliers »Die Ausgebufften«. Dass die Zeiten heute andere sind als 1974 nimmt der Film dabei ebenso zur Kenntnis wie das reifere Alter seiner Protagonisten – und betont damit das Tragische bei ihrem Versuch, die alten Zeiten noch einmal aufleben zu lassen. Ähnlich gelagert war Ben Epsteins »Buck Alamo«: Seine Titelfigur ist ein alter Mann, der im Angesicht des nahenden Todes versucht, das Richtige zu tun – Freunde und Verwandte um Verzeihung zu bitten für die Selbstbezogenheit, die er früher an den Tag gelegt hat. Seine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wird dabei immer wieder überlagert von schöngefärbten Erinnerungen, an das Musizieren und den Alkohol: Leicht macht es diese Figur dem Zuschauer jedenfalls nicht, sich mit ihr zu identifizieren.
Aber das galt für viele Figuren, die in Oldenburg auf der Leinwand zu sehen waren: den unentschlossenen Jungen im Eröffnungsfilm »Puppy Love« (von Sean Penns Sohn Hopper mit angenehmer Schläfrigkeit verkörpert) über die forensische Psychiaterin in New York (in Matthew Berkowitz' »The Madness Inside Me«), die sich auf ein gefährliches Rollenspiel mit dem Mörder ihres Mannes einlässt, bis hin zum Serienvergewaltiger (im argentinischen »The Longest Night«), der zu Hause ein liebevoller Ehemann und Vater ist.
Bleibt noch zu erwähnen, dass der Publikumspreis (wohl erstmalig) an einen Dokumentarfilm ging: »Miracle Fishing«. Regisseur Miles Hargrove ist der Sohn jenes amerikanischen Geschäftsmannes, der 1994 in Kolumbien von einer Rebellengruppe entführt und viele Monate festgehalten wurde. Anders als die Hollywooddramatisierung des Falls im Film »Proof of Life« geht es hier vor allem um die Zeit des Wartens, um die kleinen Dinge des Alltags, die Hargrove seinerzeit mit seiner Super-8-Kamera festgehalten hatte und für den Film mit Interviews von heute unterlegte.
Auch wenn einige Gäste vor Ort waren und Rede und Antwort standen, litt das Festival doch ein wenig in seinem Charakter als Treffpunkt. Und den großen Erzähler William Friedkin, dem die diesjährige Retrospektive galt, hätte man auch gerne nach jedem seiner sechs Filme vor Ort erlebt als nur in einem dreiviertelstündigen Live-Interview. Trotzdem: Experiment gelungen.
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