Venedig: Der letzte Kinostar
»Ad Astra – Zu den Sternen« (2019). © 20th Century Fox
Brad Pitt zeigt Charisma und Oscar-Ambitionen in James Grays Astronautendrama »Ad Astra« – und Netflix belegt mit Noah Baumbachs »Marriage Story«, dass Filme im Geist von Ingmar Bergman und Woody Allen heute nur noch auf Streaming zu haben sind
Erst vor kurzem wurde Brad Pitt als »der letzte wahre Kinostar« gefeiert. Das war zum Start von Quentin Tarantinos »Once Upon A Time in Hollywood«, in dem der 55-Jährige mehr jugendliche Coolness ausstrahlte als einer seiner 30-jährigen Kollegen. Dass etwas dran sein muss am Etikett vom »letzten seiner Art«, wurde nun auch in Venedig offenbar: Fans, die im Morgengrauen ihr Lager vor dem Festivalpalais aufschlagen, um am späten Abend einen Blick auf Pitt zu erhaschen, wenn er zur Premiere über den roten Teppich läuft; eine Fotografenmeute, die man von weitem an ihren »Brad! Brad!«-Schreien ausmachen kann, und Journalisten, die mit unsachlichen Fragen und dem Ergattern eines Autogramms jede professionelle Zurückhaltung aufgeben: Das alles passiert, wenn Brad Pitt am Lido angelegt hat.
Und der Anlass von Pitts Abstecher zum Lido, sein neues Weltalldrama »Ad Astra«, könnte es kaum deutlicher unterstreichen: Wie viele andere Filmstars gibt es noch, die ihr Publikum über zwei Stunden in den Bann ziehen, selbst wenn sie den Großteil davon alleine und mit Astronautenhelm auf dem Kopf agieren müssen? »Ad Astra«, einer der US-amerikanischen Filme auf dem Festival, die Venedig als Startrampe für die Oscar-Kampagne nutzen, erzählt die in der »nahen Zukunft« spielende Geschichte des von Pitt gespielten Sohnes, der seinem Vater (Tommy Lee Jones), einem legendären Astronauten und Weltraumforscher nacheiferte und selbst Raumfahrer wurde.
Nun soll er, ausgesucht wegen seines Talents zum Ruhebewahren in Notsituationen, sich auf den langen Weg zum Mars machen, um Kontakt aufzunehmen zu seinem vor Jahrzehnten im All verschollenen Vater, den man eines weltbedrohenden Sabotageakts verdächtigt. Trotz Sci-Fi-Geraune und vielen Ehrfurcht erheischen wollenden Raumschiffaufnahmen steckt hinter den Aspirationen von »Ad Astra« letztlich doch ein einfaches Vater-Sohn-Drama. Regisseur James Gray strebt eine mysteriöse Nachdenklichkeit zwischen Stanley Kubricks »2001« und Denis Villeneuves »Arrival« an, doch merkt man seinem Film zu sehr an, dass seine Ideen zur Zukunft nur Kulissen sind für einen recht klischeehaften Vater-Sohn-Konflikt.
Ohne Brad Pitt wäre »Ad Astra« zu zäh geraten. Andererseits aber verleiht vielleicht genau diese Schwerfälligkeit Pitt endlich die richtige Gravitas, die ihm den ersten Hauptrollen-Oscar seiner über 35-jährigen Karriere bringen könnte.
Das gegenseitige Abhängigkeit von Filmen und ihren Stars prägt auch Noah Baumbachs »Marriage Story«, eine von zwei Produktionen, die der Streaminganbieter Netflix auf dem Festival präsentiert. »Marriage Story« stellt jene Sorte Film dar, die im Zeitalter der Blockbustersequels und Superhelden-Filme zunehmend aus dem Kino verdrängt werden. Es geht um ein ganz gewöhnliches Beziehungsdrama.
Baumbach schildert den Ablauf einer Trennung: Eben noch sitzen Nicole (Scarlett Johansson) und Charlie (Adam Driver) beim Mediator, um die Scheidung gütlich zu regeln. Sie haben einen achtjährigen Sohn zusammen, und waren lange Jahre auch beruflich eng aneinander gebunden; sie spielte als Schauspielerin in der Theatertruppe, die er leitete. Ein paar Zeittakte später, Nicole ist zur Mutter nach Los Angeles gezogen, um dort eine Serie zu drehen, werden doch die Rechtsanwälte eingeschaltet und es beginnt das schmerzhafte Ringen um Besuchszeiten, ums Geld, um die Deutungshoheit dessen, was passiert ist.
Baumbachs Referenzen liegen auf der Hand: Ingmar Bergman und Woody Allen, und trotzdem ergreift seine Normalo-Geschichte gerade dadurch, dass sie so modern, so zeitgemäß, so wenig überspitzt scheint. Die Komik überlässt er den Rechtsanwälten, die in herrlich revuehaften Auftritten von Laura Dern, Ray Liotta und Alan Alda verkörpert werden.
Seinem zentralen Ehepaar aber lässt er eine dazu noch um Gleichberechtigung ringende Würde. Nach dem Film mag man Scheidungsanwälte verachten, aber die Institution der Ehe, die Liebe, sieht Baumbach sehr viel weniger zynisch als seine Vorgänger. Mit ihren nuancenreichen und in ihrer Menschlichkeit berührenden Auftritten haben sich sowohl Adam Driver als auch Scarlett Johansson ganz oben auf der Liste der Oscar-Favoriten positioniert.
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