Interview: Julie Delpy über ihren Film »My Zoe«
Julie Delpy am Set von »My Zoe« (2019). © Universal Pictures
Sie haben gesagt, »My Zoe« sei Ihr persönlichster Film. Das ist ein bisschen überraschend, da sich die meisten Ihrer Filme aus Ihren eigenen Erfahrungen speisen, mit Familie, Freundschaften und dem Kultur Clash zwischen Frankreich, wo sie aufgewachsen sind, und Amerika, wo sie seit Ihrem 19. Lebensjahr leben. Warum ist das Ihr persönlichster Film?
Ja, es stimmt schon, im Grunde sind all meine Filme persönlich, aber dieser hat ein Element, das mit meinen tiefsten Ängsten als Mutter zu tun hat. In dem Moment, in dem man ein Kind bekommt, befindet man sich in einem Zustand ständiger Angst, darum geht es in dem Film. Es ist ein Gedankenspiel, eine Allegorie über Sorgerecht und was es bedeutet, ein Kind mit jemandem zu teilen, den man nicht mehr richtig mag. Und dann ein bisschen weitergedacht, dass dem Kind etwas passiert. Leider kenne ich Menschen, die ein Kind verloren haben und habe das unendliche Leid ihres Lebens danach gesehen. Das wollte ich auf eine Weise einfangen, die nicht völlig deprimierend ist, mit der Möglichkeit einer Veränderung. In gewisser Weise ist das eine Science-Fiction-Geschichte. Wenn man es psychologisch betrachtet, geht es um einen Menschen, der den Verlust verdrängt.
Die Frau, die Sie spielen, glaubt an die absolute Macht der Wissenschaft: Wie stehen Sie selbst dazu?
Ich glaube ganz entschieden an die Wissenschaft. Ohne Medizin und Wissenschaft würden wir alle heute noch mit 45 sterben. Jeder Fortschritt der Menschheit hat mit der Verlängerung unserer Lebenserwartung zu tun, von Antibiotika, die seit bald 100 Jahren Leben retten, bis zur Organtransplantationen.
Gerade in den letzten Jahren wurde dieser Fortschritt aber auch in immer stärkerem Maße zu einer moralischen Frage....
Worauf ich mit dem Film hinaus will, ist die Idee der Identität: Was definiert unsere Individualität, unsere Seele, wenn Sie es so nennen wollen. Sind wir wirklich nur Zellen und Synapsen und sonst nichts? Als vor 40 Jahren das erste In vitro-Baby in der Petrischale gezeugt wurde, wurde das sehr kontrovers diskutiert, viele hielten das für teuflisch. Angefangen hat es mit Abtreibung: Sobald es um die Rechte der Frauen geht, wird es zu einer anderen Geschichte, weil die Männer die Kontrolle über die Frauen nicht verlieren wollen. Auch darum geht es in meinem Film, der Vater verliert die Entscheidungsgewalt, weil sie allein entscheidet. Im Namen der Gleichberechtigung bekommen Männer die Chance, Vollzeitväter zu sein. Das ist großartig, ist dann aber auch etwas, das den Müttern genommen wird, die ohnehin im Nachteil sind: Frauen können nach 42 keine Kinder mehr bekommen, können also keine zweite Familie gründen, wenn sie mit 43 die Scheidung einreichen. Männer können ewige Junggesellen bleiben und dann mit 55 eine Familie gründen. Jeff Goldblum hat gerade sein erstes Kind mit 70 bekommen, weil er jetzt endlich bereit dafür ist. Schön für ihn! Wenn die Dinge mit der Fortpflanzung umgekehrt lägen, gäbe es dafür schon längst eine andere Lösung. Frauen haben eine begrenzte Zeit, Männer nicht.
Wie in Ihren früheren Komödien gibt es auch hier wieder die schnellen Screwball-Dialoggefechte, nur dieses Mal sind sie sehr viel düsterer und härter geraten...
Wissen Sie, ich wundere mich immer, warum diese Scheidungsstreitereien im Kino so zahm sind. In Wirklichkeit geht es da viel härter zu, wenn Menschen solche intensiven Kämpfe austragen, vor allem, wenn es dabei um ein Kind geht. Im Film verhalten sich die Männer oft wie Gentlemen: »Okay, das kannst du alles haben« oder »Ich werde dir helfen, für dich da sein...« Aber Männer sind nicht immer so großzügig, sie können sehr brutal sein, genauso wie die Frauen, doch das wird in Filmen nicht erzählt, wahrscheinlich auch, weil es meistens Männer sind, die diese Geschichten erzählen. Die Kämpfe, die ich in Wirklichkeit erlebt habe, sind sehr düsteres Terrain. In einem Film habe ich das noch nie so gesehen, abgesehen vielleicht von »Szenen einer Ehe« von Bergman. Diese Wahrhaftigkeit des Lebens wollte ich zeigen.
In welchem Maße ist ihr naturalistischer Stil des Filmemachens von Richard Linklater inspiriert, ihrem Regisseur der »Before«-Trilogie?
Bei diesem Film nicht, das ist für mich eher eine Hommage an Krzysztof Kieslowski, mit dem ich vor 25 Jahren bei den Drehabreiten zur »Drei Farben«-Trilogie zum ersten Mal über diesen Film gesprochen habe. Er hat meine Arbeit als Drehbuchautorin auch sehr unterstützt, schon bevor ich Regie geführt habe. Der Film würde ihn wahrscheinlich ein bisschen verärgern, weil das Schicksal für ihn etwas war, dass man akzeptieren muss.
Sie haben gesagt, sie seien besessen von der Idee des Schicksals, inwiefern?
Weil jede Entscheidung im Leben ein Schritt zu etwas ist, das man nicht kennt. Wenn man einen Zug nimmt, wenn man Auto fährt, vielleicht holt man sich noch schnell einen Mantel und vermeidet so einen schrecklichen Unfall. Das beschäftigt mich unablässig, jede Minute.
Sie haben große Teile Ihrer Kindheit auf den Bühnen verbracht, auf denen Ihre Eltern, beide Schauspieler, aufgetreten sind. Wann wurde Ihnen klar, dass das auch Ihr Weg ist?
Wissen Sie was, kürzlich habe ich mir überlegt, vielleicht sollte ich Ärztin sein. Ich wäre bestimmt wahnsinnig gut darin, weil ich sehr detailversessen bin, außerdem kann ich auch sehr gut zuhören, was die meisten Ärzte leider nicht tun. Es waren meine Eltern, die mich zu diesem Beruf inspiriert haben, aber vielleicht war das ein Fehler, vielleicht sollte ich etwas anderes machen...
Aber irgendeine Form von Magie muss es doch gegeben haben, die diesen Wunsch ausgelöst hat?
Magie gab es da keine, das war ein sehr hartes Leben, ich hatte eine echt taffe Kindheit, mit Eltern, die schwere Zeiten hatten, ohne Arbeit, finanziell immer am Limit. Als ich geboren wurde hatten sie keinen festen Wohnsitz, wir haben wie Tiere gelebt, mit meiner Großmutter in einem Raum, so groß wie diese Wohnküche hier, ohne Badezimmer, wir haben uns einmal pro Woche in öffentlichen Bädern mit den Obdachlosen gewaschen. Nein, Funken wurden da nicht gezündet! Es ist eher das Geschichtenerzählen, das mich in diesen Beruf gezogen hat, mehr als das Spielen.
Sie sagen auch, dass das Spielen viel schwerer sei, als das Regie führen...
Es ist schwieriger, weil man sich da mehr entblößen muss, und darum auch verwundbarer ist. Man kann sich auch nicht hinter der Rolle verstecken, weil man ja immer die eigenen Gefühle anzapft. Wenn man jemanden spielt, der psychisch gestört ist, geht man wirklich an diese dunklen Orte. Das habe ich nie wirklich gemacht, weil ich davor wohl Angst habe. So was nimmt einen mit, deshalb ist die Lebenserwartung bei Schauspielern auch nicht sehr hoch, Regisseure dagegen leben ewig. Immer wenn ich eine Szene inszeniere, in der ich nicht selber spiele, bin ich sehr ausgeglichen und ruhig, und wenn ich dann wieder vor die Kamera muss, bröselt ein großer Teil meiner Selbstsicherheit und ich fühle mich verlorener, man fühlt sich verlorener. Es liegt in der Natur des Spielens, dass man verwundbar ist.
Sie haben das erste Drehbuch im zarten Alter von 15 geschrieben. Warum hat es 21 Jahre gedauert, bis Sie den ersten Film inszeniert haben?
Damals wollte niemand den Film einer Frau produzieren. Ich habe Drehbücher geschrieben, die ganz anders sind, als alles, was Sie von mir kennen, über sehr kontroverse Themen. Aber solche Filme wollen die Leute nicht von Frauen. Männer dürfen kontrovers sein und verrückte Geschichten erzählen. Von einer Frau wird erwartet, dass sie an ihrem zugewiesenen Platz bleibt. Für die neue Generation wandelt sich das gerade, die haben Glück, für mich war es noch ein Kampf.
Haben Sie Berlin wegen der Fördergelder zu einem der Schauplätze Ihres Films gemacht? ?
Nein, ich liebe Berlin, und als Daniel Brühl als Produzent hinzukam, hat er die Stadt vorgeschlagen: Das wäre an verschiedenen Orten möglich gewesen, im zweiten Teil wäre beispielsweise auch China in Frage gekommen, statt Moskau. Ich kenne Berlin gut, und es ist eine perfekte Stadt, weil sie international ist, hier leben Briten, Franzosen, Menschen aus der ganzen Welt, es ist glaubwürdig, dass hier so ein multikulturelles Paar leben könnte. Mir schien das ein guter Ort für den Film zu sein.
In ein paar Wochen werden Sie 50, wie fühlen Sie sich damit?
Mir macht das gar nichts aus! Aber ich weiß, dass es eine Wirkung auf die Menschen hat, den anderen macht es viel mehr aus als mir. Als Mann kann man auch mit 50 noch kindlich sein. Aber mir ist das egal, ich bin nicht mal sicher, dass ich das überhaupt feiere. Geburtstage bedeuten mir nichts.
Sie sind schon mit 19 nach Los Angeles gezogen: Haben Sie nie darüber nachgedacht, nach Frankreich zurückzugehen, wäre das als Lebensraum nicht viel natürlicher für Sie?
Ja, das stimmt, und ich denke tatsächlich auch darüber nach. Interessant ist, dass mein Sohn, der in Paris geboren, aber in Los Angeles aufgewachsen ist, unbedingt in Europa leben will. Es sieht so aus, als würde er mich zurückbringen. Ich glaube nicht, dass er sich mit 13 oder 14 als Teenager mit der amerikanischen Kultur anfreunden wird. Er hasst sie, das ist nichts für ihn.
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