43. Duisburger Filmwoche
»Olanda« (2019)
Nach der Pensionierung von Werner Ruzicka fand die dem Dokumentarfilm gewidmete Duisburger Filmwoche in ihrer 43. Ausgabe erstmals mit einer Doppelspitze statt: Gudrun Sommer und Christian Koch
Das Ringen mit der Stadt, vor allem um arbeitsrechtliche Verbesserungen, war lang. Doch es gelang Gudrun Sommer, Gründerin und Leiterin des parallel zur Filmwoche stattfindenden Kinder- und Jugendfestivals »doxs!«, Seite an Seite mit Christian Koch, einem im Kulturmanagement erfahren Partner. Dass »Filmwoche« und »doxs!« unter gemeinsamer Regie bleiben sollen, ist eine gute Maßnahme, um Kräfteverschleiß vorzubeugen. Dabei sichert »doxs!« mit ganzjähriger Arbeit an den Schulen der Region zukünftiges Interesse am Dokumentarfilm – und bringt während der Festivalwoche selbst auch viele Kinder erstmalig in Kontakt mit einem Kino jenseits von Werbung und Popcorn.
Auch das Auswahlgremium wurde neu besetzt. Im Programm der Filmwoche macht sich diese neue Leitung in ihrem ersten Jahr am deutlichsten durch die Stärkung jüngerer und weiblicher Stimmen bemerkbar. Auffällig auch eine spürbare – manchmal gar in laute Töne umschlagende – Belebung der Debattenkultur. Denn, dies sei noch einmal rekapituliert: Es sind bis heute die Alleinstellungsmerkmale der Filmwoche, dass nur ein einziger Saal bespielt wird und dass jeder der vorgeführten Filme (diesmal 24) in einem etwa einstündigen moderierten Gespräch diskutiert wird.
Jugend und Frausein sind noch kein Programm, die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist es in Duisburger Tradition schon. So standen mit Thomas Heises »Heimat ist ein Raum aus Zeit« und Ute Adamczewskis »Zustand und Gelände« auch hier zwei Arbeiten zentral im Programm, die mit ihrem klaren Konzept andernorts schon Bewunderung erregt hatten. Adamczewskis Untersuchung zu den Spuren und Orten früher NS-Repression in Sachsen wurde gerade erst in Leipzig mit einer Goldenen Taube ausgezeichnet.
Ein anderer Schwerpunkt waren unterschiedliche Formen der Arbeit – von der bäuerlichen Wurstproduktion bis zur Konzeptkunst. In »Taste of Hope« (Regie: Laura Coppens) werden die Überlebenskämpfe einer selbstverwalteten Teefabrik in Südfrankreich zwischen Supermarktverramschung und solidarischem Crowdfunding begleitet, »Fleischwochen« (Regie Joachim Iseni) erforscht aus innerfamiliärer Perspektive die ökonomische und moralische Krise eines österreichischen Familienbetriebs.
Auch die beiden Hauptpreisträger beschäftigten sich mit dem Arbeiten unter den prekären Bedingungen der Globalisierung. »Olanda« von Bernd Schoch (arte-Preis, Uraufführung Berlinale-Forum) macht aus der geduldigen Verfolgung der Wege osteuropäischer PilzsammlerInnen und ihrer Handelsware von den Wäldern der Karpaten bis zur Vorbereitung für den westlichen Feinschmeckermarkt eine ebenso erkenntnisreiche wie wundersame Reise. »Bewegungen eines nahen Bergs« (Regie Sebastian Brameshuber, 3sat-Preis) geht in die Steiermark, wo Cliff, ein ursprünglich aus Nigeria gekommener Mann, in einer verwitterten Werkhalle die Überreste der Individualmotorisierung be- und verhandelt. Hier werden Autowracks so gekonnt auseinandergenommen wie in den »Fleischwochen« die Schweine, doch beim Verdealen der Restteile und einkokonierten Motorblöcke nach Osteuropa oder Nigeria zeigt Cliff jenseits des Handwerklichen zeitgemäßere Kompetenz als die Bauern.
Der »magische Materialismus«, den die Jury Brameshubers Film bescheinigte, findet sich ganz anders interpretiert auch in einem bemerkenswerten Film von Christiana Perschon, welcher mit einer Handvoll Künstlerinnen der feministischen Wiener Avantgarde der späten 1960er auf fast experimentelle Art die Dialektik zwischen Material, patriarchalen Kreativitätshindernissen und widerständiger Kunstarbeit verhandelt. »Sie ist der andere Blick« schafft es mit einer intelligenten Mischung aus Konzept und improvisierender Spontaneität, die Verletzungen von Frauenleben ohne direkte biografische Eröffnungen zu zeigen – und das Machen von Kunst ohne die üblichen scheinprivaten Ateliereinblicke. Ein Film, dem man wie auch seiner klugen jungen Regisseurin noch einen weiten erfolgreichen Weg wünscht. Der Filmwoche auch.
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