16. Crossing Europe Festival in Linz
»Vulkan« (Volcano, 2018)
Das Festival war ein überzeugendes Plädoyer fürs Hinschauen
Einen Monat vor der Wahl zum Europäischen Parlament lud das Crossing Europe Filmfestival zum 16. Mal ins schöne Linz an der blauen Donau, um dem Publikum einen filmischen Überblick über den Stand der europäischen Dinge zu verschaffen. Dass so einiges im Argen liegt in Europa, ist sattsam bekannt – absurdes Brexit-Theater, rechtspopulistisches Rumpeln, Versagen in der Flüchtlingspolitik, Geplänkel und Gezänk –, doch welche Schlüsse sind zu ziehen aus den mannigfaltigen konfliktträchtigen Gemengelagen? »Hinschauen auf die Probleme und gemeinschaftlich handeln oder den Blick nach innen richten und wieder Mauern aufziehen«, formulierte Festivalleiterin Christine Dollhofer in ihrem Katalogvorwort die sich verschärft stellende Alternative und bot mit einem Programm von 149 Filmen aus 48 Ländern, die innerhalb einer knappen Woche gezeigt wurden, auch gleich ein überzeugendes Plädoyer fürs Hinschauen.
Dabei reichten die Perspektiven von Albanien – auf dessen weitgehend unbekanntes Filmschaffen das Spotlightprogramm die Aufmerksamkeit richtete – nach Spanien – das mit Jaime Rosales den diesjährigen Tribute-Gast schickte – und vom hohen Norden bis an die Moldau: In seinem isländischen Thriller »Arctic« jagt der brasilianische Regisseur Joe Penna einen vom Dänen Mads Mikkelsen in großem Solo dargestellten verunglückten Piloten durch widriges Gelände und gefährliches Wetter. Während die schwedische Filmemacherin Anna Eborn in »Transnistra« – einem nicht anerkannten Staat innerhalb der Republik Moldawien – einem Mädchen und seinen zahlreichen Verehrern beim sommerlichen In-die-Sonne-Blinzeln und Unfugtreiben zusieht. Von der (noch vorhandenen) Freizügigkeit und Mobilität junger Filmschaffender innerhalb Europas zeugte auch »Light as Feathers«, ein Drama über patriarchal sanktionierte Übergriffigkeit, das die aus den Niederlanden stammende Regisseurin Rosanne Pel in einem abgelegenen polnischen Kaff mit Laiendarstellern und -darstellerinnen aus der vorgefundenen Wirklichkeit herausmodellierte. Wohingegen der in Kiew ausgebildete Roman Bondarchuk quasi vor der Haustür, nämlich im Süden seines Heimatlandes Ukraine, eine äußerst eigenwillige Region entdeckte und sein Spielfilmdebüt ebendort ansiedelte, darin ein verirrter OSZE-Mitarbeiter gefährlich-komische Abenteuer besteht. Entstanden ist mit »Vulkan« ein herausragend gestalteter, zudem höchst unterhaltsamer, wenngleich keinesfalls schenkelklopfend lustiger Film – darin »Laika« nicht unähnlich, der am anderen Ende des Spektrums von Tradition und Kontinuität und dem Wert des Bewährten Zeugnis ablegte. Von der hohen Kunst des altehrwürdigen tschechischen Animationsfilms nämlich, dem Aurel Klimt mit seinem im eigenen Studio entstandenen charmant-melancholischen Puppentrickfilm-Musical ein neues Glanzlicht aufsetzte. Erzählt wird die eigentlich wahre, also märchenhafte Geschichte der Hündin Laika, die 1957 von der UdSSR als erstes Lebewesen ins All geschossen worden war – und deren Schicksal Klimt zum Anlass nimmt, über menschliche Hybris zu reflektieren; er tut dies nicht weniger dringlich und nicht weniger anrührend als zuletzt Wes Anderson in »Isle of Dogs«, als dessen Komplementärstück »Laika« demnach gelten kann – und im Übrigen dringend einen Kinostart verdient hat.
Da es selbst dem besten Festival gut zu Gesicht steht, hin und wieder etwas Neues anzugehen, gesellte sich in diesem Jahr zu den etablierten Programmsektionen erstmals die sogenannte YAAAS!-Jugendschiene, in deren Rahmen nicht nur Filme zu sehen waren, sondern auch ganz allgemein und praktisch in unterschiedlichen Projekten an der Medienkompetenz des produzierenden wie des rezipierenden Nachwuchses gearbeitet wurde. Von eben diesem ausgezeichnet wurde am Ende die slowenisch-österreichische Produktion »Consequences« von Darko Stante, die Sexualität und Gewalt unter den Insassen eines Erziehungsheims in den Blick nimmt.
Den Crossing Europe Award für den besten Spielfilm erhielten Natasha Merkulova und Aleksey Chupov für »The Man Who Surprised Everyone«, der unter anderem damit überrascht, dass er Fragen nach Geschlechterrollenverteilung und sexueller Identität in der fernen sibirischen Taiga aufwirft. Und den Preis für den Besten Dokumentarfilm nahm Thomas Heise mit nach Hause, dessen familienhistorische Tiefenbohrung »Heimat ist ein Raum aus Zeit« wie beiläufig jede Menge Motive zutage fördert, die Geschichte und Gegenwart Europas prägen.
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