Kein schöner Land – Die Diagonale in Graz
Der Eröffnungsfilm »Murer«
Die Diagonale in Graz präsentiert die Jahresproduktion österreichischen Filmschaffens. In diesem Jahr gaben Macher und Jury dem Festival eine dezidiert politische Note
Im dritten Jahr nun sind die beiden neuen Festivalleiter der Diagonale im Amt, und in jugendlicher Anmutung und Popularität bei einem ebenfalls stark verjüngten Publikum können sie mit dem österreichischen Bundeskanzler mithalten. Hier endet glücklicherweise die Analogie. Denn Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber sind eher Diplomaten als Scharfmacher. Und so haben sie bei ihrer ersten Ausgabe des »Festivals des österreichischen Films« in der derzeitigen stark politisierten und emotionalisierten Situation so klug wie deutlich (und erfolgreich!) auf ein Doppel aus kommunikativer Deeskalation und einem entschlossenen inhaltlichen Eintreten für Demokratie und Empathie gesetzt.
Engagement zeigte schon die Wahl des einen Tag nach dem 80. Jahrestag des »Anschlusses« präsentierten Eröffnungsfilms, der unter der Regie von Christian Frosch eine der schändlichsten Episoden der Festivalstadt Graz aufarbeitet. Es ist der Fall des als »Schlächter von Wilna« für die Ermordung der dortigen Juden hauptverantwortlichen steirischen NSDAP-Politikers Franz Murer, dessen Verbrechen in seinem Heimatland bisher ungesühnt sind. Frosch inszeniert den erst 1963 initiierten und mit Freispruch beendeten Prozess mit nachgestellten Zeugenaussagen Überlebender als personell weit aufgefächerten Spielfilm und legt als politischen Hintergrund dieses Justizversagens auch opportunistische Kalkulationen der SPÖ gegenüber rechten Wählergruppen nah.
Der Spielfilmjury war »Murer« der Preis für den besten Spielfilm wert. Auch die Auszeichnung in der Kategorie Dokumentarfilm ging an einen im besten Sinn politischen Film, der einen der großen Dokumentaristen der Zeit an einen Symbolort aktueller Migrationsdebatten bringt. Der Filmemacher ist Nikolaus Geyrhalter, das Objekt seines Interesses ein Zaun, dessen Errichtung an der Tiroler Brenner-Grenzstation durch Politik und Polizei immer wieder angekündigt wird: »Die bauliche Massnahme«. Zwei Jahre drehte Geyrhalter vor Ort und begleitet mit einigem Humor die medialen Präsentationen des oft schildaesken institutionellen Hin und Her.
Naturgemäß steht bei einem nationalen Filmfestival die Präsentation der aktuellen Jahresproduktion im Zentrum. Die kuratorische Kunst ist es, um diesen Pflichtteil mit einer Kür die einzelnen Elemente miteinander ins produktive Gespräch zu bringen. Dies gelang in Graz glänzend, etwa wenn die mit ihrem Dokumentarfilm »Waldheims Walzer« eingeladene Ruth Beckerman bei einem Podiumsgespräch zum 1975 gegründeten Wiener Filmkollektiv »Filmladen« argumentative und atmosphärische Brücken vom damaligen Aktivismus zur heutigen politischen Entwicklung baute. Oder in einer Sektion, die unter dem Titel »Kein schöner Land« den Blick programmatisch von der Hauptstadt in die Provinz richtete und unter anderem die Neulektüre von Tourismus-Seligkeiten à la Im weißen Rössl anbot. Seinen Höhepunkt fand das Programm aber in Egon Humers Postadresse: 2640 »Schlöglmühl«(1990), einer großartigen dokumentarischen Sozialstudie über die Schließung einer Papiermühle Mitte der 1980er Jahre, mit sehr genauem Blick und präziser Gestaltung.
Grandiose Ergänzung zu diesem Schlüsselfilm war das gemeinsam mit dem Steirischen Herbst betriebene Projekt der Inszenierung von Elfriede Jelineks Großroman »Die Kinder der Toten« als Super-8-Zombiefilm an seinem Handlungsort im steirischen Mürztal durch das Nature Theater of Oklahoma mit Einheimischen und anderen Laien. In Graz gab es ein bejubeltes Making-of dieser Dreharbeiten (»Die Untoten von Neuberg«, Regie: Ulrich A. Reiterer), das die von Großstädtern so oft als dumpfbackig gewähnte Provinz in lebendigem gemeinschaftlich ausagiertem Übermut strahlen ließ. Passend zu solch kollektivistischen Frühlingsgefühlen kam ein Entschluss der Spielfilmjury, die übliche Auszeichnung von bester weiblicher/männlicher Darstellung diesmal nicht an Einzelleistungen zu vergeben, sondern zwei Mal nichtgegendert an ein ganzes Darstellerensemble (»L’animale und Cops«).
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns