NaturVision Festival
»Biene Majas wilde Schwestern«
Tränentreibende Pinguindramen und monumentale Luftaufnahmen? Es geht auch anders. Auf dem NaturVision Festival präsentieren sich Naturdokumentationen seriös – und manchmal in ganz großer Form
Der Naturfilm ist ein mitunter belächeltes und schief angesehenes Genre innerhalb des Dokumentarfilms. Vielleicht kommt das noch aus den Zeiten, als Bernhard Grzimek gravitätisch seine tierischen Maskottchen in fast drei Jahrzehnten »Ein Platz für Tiere« präsentierte. Vielleicht liegt die mangelnde Beachtung des Naturfilms auch an dem Umstand, dass das Gros der Filme für Fernsehformate produziert wird, sieht man einmal von Kino-Kassenknüllern wie Mikrokosmos, Nomaden der Lüfte oder Die Reise der Pinguine ab. Und vielleicht haben die Filmemacher zu lange Tiere vermenschlicht, den Zuschauer zugetextet und sich in den letzten Jahren mit Drohnen allzusehr über ihn erhoben.
Seit 16 Jahren unternimmt das NaturVision Festival den Versuch, dem Naturfilm wieder zu seinem Recht und einer cineastischen Aufmerksamkeit zu verhelfen. Und wenn man sich das Programm anschaut, bemerkt man, dass das Misstrauen nur zum Teil seine Berechtigung hat. Sicherlich, auch im Ludwigsburger Programm gab es viele konventionelle Dokus. Zugleich merkte man aber, wie aufmüpfig, selbstbewusst, kritisch und ambitioniert der Naturfilm geworden ist. Wie er polemisch zum Beispiel in Code of Survival von Bertram Verhaag die mit Pestiziden und Herbiziden arbeitende industrielle Landwirtschaft der nachhaltigen gegenüberstellt. Oder wie »Bauer unser« von Robert Schabus den Zwang zur stetigen Expansion in den herkömmlichen landwirtschaftlichen Betrieben anprangert.
In diesem Jahr war der thematische Schwerpunkt des Festivals der Verseuchung der Meere gewidmet, vor allem durch Plastik und Mikroplastik, das etwa in Kosmetika enthalten ist oder aus synthetischen Textilien herausgewaschen wird. In 25 Prozent aller Fische sind mittlerweile Plastikreste zu finden, und durch Meeresströmungen werden regelrechte Plastikinseln akkumuliert. Auf diese besorgniserregenden Zahlen verwiesen Filme wie »A Plastic Ocean« von Craig Leeson oder »Oceans: The Mystery of the Missing Plastic« von Vincent Pérazio. Es gibt aber auch noch eine ganz andere Gefahr für die Weltmeere, und die kommt aus mitunter großer Tiefe. Dort liegen die Hinterlassenschaften der Kriege, die die Menschheit geführt hat, in Form von Kriegsschiffen. Christian Heynen begleitet in »Schwarze Tränen der Meere«, dem die Jury den Sonderpreis in der Kategorie »Die Stadt und das Meer« zugesprochen hat, einen ehemaligen Major der polnischen Kriegsmarine, der sich in den Dienst des Meeresschutzes gestellt hat, auf seinen Erkundungsfahrten in der Nordsee. Exakt 6 338 Wracks liegen auf dem Grund der Weltmeere, gefüllt mit wahrscheinlich 20 Millionen Litern Treibstoffschweröl. Das irgendwann einmal austreten wird.
Noch immer ist es das große Vermögen des Naturfilms, dem Zuschauer neue, fremde Welten zu erschließen oder auch in den Mikrokosmos vermeintlich alltäglichen Lebens einzutauchen. Und da ist vor allem die Kameraarbeit gefragt. In »Leuchtfeuer des Lebens« mit dem berühmten BBC-Presenter David Attenborough verdeutlichen die Kameraleute das Phänomen der Bioluminiszenz im Meer und auf der Erde durch nachgerade hypnotische Bilder. Und Jan Hanft, heute wahrscheinlich Deutschlands profiliertester Naturfilmer, beobachtet in »Biene Majas wilde Schwestern« (Deutscher Wildlife Filmpreis) die Welt der Wildbienen in fantastischen Mikroaufnahmen, aber auch mit Zeitlupe und Zeitraffer.
Natur ist auch da, wo man sie vielleicht nicht vermutet. Zum Beispiel in der Stadt. »Natura Urbana – Die Brachen von Berlin« von Matthew Gandy (Filmpreis Biodiversität), eines der schönsten Werke der diesjährigen Festivalausgabe, ist ein Film darüber, wie sich die Natur wieder ihren Platz erobert, auf Trümmergrundstücken, Müllbergen, Parkplätzen, stillgelegten Gleisanlagen, eben den berühmten »Brachen«, die es so wahrscheinlich nur in Berlin gibt. Der ruhig und in präzise komponierten Einstellungen erzählte Film lässt Stadtbiologen zu Wort kommen und liefert so auch ein kleines Stück Wissenschaftsgeschichte. Und er widerspricht der ökofaschistischen Denkweise, die vor allem heimische Pflanzen wertschätzt. Denn was bedeutet »heimisch«? Nach Berlin kamen Pflanzen durch Armeebewegungen und Handelsverkehr. 50 Prozent der Bewohner der Brachen Berlins sind Neophyten, also in den letzten Jahrhunderten zugewanderte Pflanzen. Dadurch ist die Stadt Berlin artenreicher geworden als die Landschaften drumherum. Auch ein kluger Kommentar zum Thema Migration.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns