Interview mit Monika Willi zu »Untitled«
»Untitled« (2017). © Real Fiction Filmverleih
Frau Willi, als langjährige Editorin Michael Glawoggers waren Sie nach seinem Tod während der Dreharbeiten zu seinem letzten Dokumentarfilm mit über 70 Stunden Material konfrontiert. Nach Rücksprache mit der Produktionsfirma entschieden Sie sich, daraus, mehr oder weniger in Alleinverantwortung, einen Film zu montieren. Gab es dabei einen Moment, wo es »Klick« gemacht hat, wo Sie wussten, wie Sie sich dem Material annähern? Oder war das ein eher langsamer Prozess mit stetigen Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen?
Es hat mehrere Klicks gegeben, auch im Sinne der Annäherung an diese neue Aufgabe. Es ist ein grundlegender Unterschied – das weiß ich mittlerweile besser –, etwas zu schneiden oder etwas zu schneiden und zu wissen, der Regisseur kommt dann nicht mehr. Ich wusste, dass es schwierig wird, aber davon war ich doch sehr überrascht. Es hatte doch etwas sehr Lähmendes. Auch, dass es keinen Sinn macht, etwas zu wagen und zu probieren, das man später mit dem Regisseur besprechen kann. Es war schon eine langsame Annäherung, auch in der Verwendung der Off-Texte, den Weg zu finden aus dem Dilemma, dass nur auf dem Balkan und in Nord- und Westafrika gedreht wurde und nicht noch an vielen weiteren Orten, wie ursprünglich geplant.
Haben Sie zunächst das Bildmaterial bearbeitet und erst dann Musik und Texte in einem zweiten Schritt – oder ging das später auch oft parallel?
So wie ich schneide, ist der Ton immer inhärenter Teil des Schnittprozesses. Das ist für mich ganz wesentlich, auch beim Spielfilm. Mit dem Komponisten Wolfgang Mitterer, der ein stetiger Begleiter war, habe ich über die Jahre hinweg schon während der Dreharbeiten zusammengearbeitet. In meiner Arbeit versuche ich immer auch auf die Filmmusik zu reagieren.
Gab es von Michael Glawogger schon bestimmte Notizen, was das Zusammenwirken von Bild und Ton anbelangt? Oder mussten Sie da bei Null anfangen? Hat er dazu etwas in seinem Blog geschrieben?
Nein, der war als Blog und nicht als Filmtext gedacht. Am Anfang habe ich mehr in Werken der Weltliteratur gesucht, Werken von seinen Lieblingsautoren, etwa William T. Vollmann, der auch ein Balkan-Spezialist ist und von dem Michael die Verfilmung eines Romans angedacht hatte. Klar war, dass es kein Film über die Reise wird. Die Chronologie sollte hier überhaupt keine Rolle spielen. Stilistisch gab es einen fortwährenden Austausch: wo nehmen wir Originalton, wo gestalten wir es mit einem überhöhten, selbstgemachten Ton? Bei der Ringer-Sequenz, die Wolfgang und ich als erstes fertig stellten und die Michael in dieser Fassung sehr gut gefiel, war klar: Wir arbeiten mit einem überhöhten Ton.
Gab es Kollegen oder Freunde, die Sie beraten haben, mit denen Sie sich austauschen konnten? Oder wäre das eher verwirrend und kontraproduktiv gewesen?
Ich habe viele Screenings gemacht, für Kollegen und für Freunde, privater und beruflicher Natur. Man hätte natürlich auch einen anderen Regisseur daran setzen können – ich aber konnte keinen anderen Regisseur an seiner statt ertragen. Es gibt in der Tat viele Möglichkeiten mit dem Material umzugehen, auch die Idee, dass man das gesamte Material online stellt oder es als Archiv zugänglich macht. Ich glaube allerdings nicht, dass man das komplette Rohmaterial online stellen sollte. Das ist etwas, was nur der Regisseur machen kann. Ich jedenfalls habe mir gewünscht, einen Film daraus zu machen.
Gab es bei der ganzen Arbeit auch Momente, wo Sie sich sagten, »Was habe ich mir da aufgehalst?«
Ja. Denn das, was das gemacht hat mit meinem eigenen Leben und auch dem meiner Familie, war schon sehr heftig. Ich weiß jetzt, was es bedeutet, wenn man etwas machen muss und würde es wahrscheinlich wieder tun. Aber wenn mich wer fragt, »Soll ich das machen?«, dann würde ich sagen: »Nur, wenn du denkst, du musst es wirklich machen!«
Zwischen der Erstellung einer fast fertigen Fassung im Sommer 2016 und der Endfertigung des Tons haben Sie Michael Hanekes Spielfilm »Happy End« geschnitten. War das hilfreich, um vielleicht auch den Kopf freier zu bekommen und dann wieder zurückzukehren?
Tatsächlich war es so, dass die Schnittarbeit mit Michael Haneke für mich eigentlich sehr hilfreich war. Erstens, weil ich gerne mit ihm arbeite, und weil man dort Dinge tut, wo man das Gefühl hat, man kann etwas. Es war hilfreich, weil ich am Abend nach Hause kam, und wusste, was ich an dem Tag geschafft habe.
Es gibt zwei unterschiedliche Sprachfassungen des Films: eine mit deutscher Sprecherin und die andere mit einer englischen Sprecherin, Fiona Shaw.
Fiona Shaw ist eine große irische Theaterschauspielerin, bekannt für ihre Shakespeare-Rollen. Sie spielt auch viele Filmrollen, war in der »Harry Potter«-Reihe als Aunt Petunia zu sehen und auch in der Fernsehserie »True Blood«.
Ich fand ihre Erzählweise überwiegend angenehm nüchtern, in einigen Momenten allerdings auch zu dramatisch.
Der Komponist Wolfgang Mitterer und ich waren in London und haben mit ihr gesprochen. Sie hatte eine große Nähe zum Film, auch zum Tod als Thema. Ich bin der Auffassung, dass die englische Sprache mehr Theatralik zulässt. Die deutsche Fassung, gesprochen von Birgit Minichmayr, ist ganz anders. Wir haben mit der deutschen Fassung auch zwei Durchgänge gemacht, weil der dramatische Ton schnell zu viel wird.
Es war Ihnen schon immer klar, dass es der Distanz wegen eine weibliche Stimme sein sollte?
Ja, das war immer mein Wunsch. Ich habe auch männliche Stimmen ausprobiert, aber sobald man eine männliche Stimme hat, kommt man wegen der Bilder sehr schnell in den Bereich der »Natural History-Dokumentationen«. Würde ich es können, hätte ich es selbst gelesen.
Inwieweit haben Sie als Editor bestimmte Arbeitsprinzipien und Vorlieben? Manchmal hört man von Regisseuren, dass die Editoren schon beim Dreh schneiden, manche Editoren sitzen auch die ganze Zeit zusammen mit dem Regisseur im Schneideraum.
Das ist in meinem Fall vollkommen abhängig von der Art und Weise, wie ein Regisseur zu arbeiten wünscht. Es gibt immer wieder diese Frage: »Habt Ihr Editorinnen und Editoren eine Handschrift?« Grundsätzlich lautete die Antwort, dass sich das aus dem Material entwickelt. Trotzdem haben wir natürlich eine Handschrift. Das sieht man, wenn das gleiche Material von unterschiedlichen Editoren bearbeitet wird. Ich glaube, es finden sich einfach Regisseure und Cutter, die gut miteinander können. Die Stilistik des Gedrehten gibt den Rhythmus vor: Was ist der Atem der Sequenz und wie setze ich den um?
Haben Sie denn eine Präferenz, etwa im Schneideraum erst ganz alleine eine Fassung zu erstellen?
Michael Haneke sitzt quasi immer im Schneideraum – außer bei Tonarbeiten. Wir beginnen nach dem Dreh und schneiden chronologisch, nachdem ich mir das Material zuvor angeschaut habe. Bei Michael Glawogger war es immer so, dass er mir das Material mit sehr, sehr wenig Information gegeben hat. Ihm war eher die Geografie des Ortes wichtig, zu der er viele Skizzen machte, um zu sehen, wie jemand, der nicht beim Dreh dabei war, der nichts weiß, der die Umstände nicht kennt, reagiert. Das ist meiner Meinung nach etwas sehr Wesentliches: Wenn man alle Befindlichkeiten kennt, auch bei einem Spielfilm, dann ist man oft zu befangen. Ein Regisseur mag sagen, »das ist alles nichts«, aber wenn man das Material dann im Schneideraum sieht, wirkt es anders. Die Liebe zum Material bzw. die Distanz dazu hängt oft auch davon ab, wie der Moment des Drehens war. Deshalb finde ich es sehr befreiend, vieles nicht zu wissen.
Begonnen haben Sie mit Dokumentarfilmen?
Ich habe angefangen mit Fernsehdokumentarfilmen, das habe ich zehn Jahre lang gemacht. Der erste Kinospielfilm war dann 1998 »Suzie Washington« von Florian Flicker – der hat mir auf großartige Weise vertraut, obwohl ich in diesem Biotop nicht zu Hause war. Dann kamen Barbara Albert mit »Nordrand« und Michael Glawogger mit »Frankreich, wir kommen«.
Ist der Unterschied zwischen dem Schnitt bei Spiel- und Dokumentarfilm beträchtlich oder ist es mehr eine Frage des Regisseurs?
Das ist sehr abhängig von den Regisseuren. Der cineastische Zugang von Michael Glawogger beim Dokumentarfilm war etwas ganz anderes als ein Dokumentarfilm, wo ich zweihundert Stunden Material und hundert Stunden Interviews habe. Eine Arbeit wie die mit Michael Haneke an seiner Operninszenierung »Cosi FanTutte«, die mit neun Kameras aufgenommen wurde, stellt wieder andere Anforderungen.
Die Erfahrung mit »Untitled« war für Sie eine weitergehende Arbeit an einem Film als zuvor. Führt das möglicherweise auch zu der Überlegung, einmal selbst Regie zu führen – oder ist das noch zu früh?
Ja, das ist noch zu früh. Es gibt zwar eine Idee, aber was mir bei dieser Arbeit klar wurde, ist der wirklich große Unterschied zwischen »eine Meinung haben« und »entscheiden müssen«. Ich bin jemand, der wahnsinnig gerne bei der Tonmischung dabeisitzt. Wenn es da drei Optionen gibt, kann ich für mich relativ schnell sagen, was ich will. Aber wenn man jetzt mit dem Tonmeister und dem Tondesigner zusammensitzt und es gibt drei Meinungen, dann ist das schwer. Ob diese letztendliche Verantwortung vom Anfang bis zum Ende etwas ist, das mir liegt, kann ich noch nicht sagen.
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