Interview mit Jonathan Littell über seinen Film »Wrong Elements«
Jonathan Littell am Set von »Wrong Elements« © Neue Visionen Filmverleih GmbH
Mr. Littell, Ihr Film beginnt mit einer eindrucksvollen Sequenz, in der Milizionäre einen Mann zwingen, mit ihnen zu kommen, anderenfalls würden sie seine Familie töten. Das ist ein reenactment?
Ja, das waren alles ehemalige Angehörige der »Lord's Resistance Army« (LRA), die ich bat, mir zu zeigen, wie sie andere entführten.
Wie haben Sie die drei Protagonisten des Films gefunden?
Das war ein Casting. Ich hatte ziemlich genaue Ideen, wie die verschiedenen Charaktere sein sollten. Nach ihnen suchte ich dann, Wir haben übrigens mit sehr viel mehr Menschen gedreht als man jetzt im Film sieht. Mit Geofrey wollte ich sofort zusammenarbeiten, er war eine so starke Persönlichkeit, Mike war auch derjenige, der mich Nighty vorstellte, die er schon sehr lange kannte.
Ich hatte den Eindruck, dass Nighty sehr viel ernster bei der Sache war, während die beiden Männer viele Witze machten. Ich fragte mich, ob das mit den unterschiedlichen Charakteren zusammenhängt oder vielleicht auch eine generelle Differenz benennt zwischen Männern und Frauen, die unterschiedlich mit bestimmten Erfahrungen umgehen.
Oh, sie hat durchaus auch Witze gemacht. Besonders gut war sie darin, viele der Kommandeure zu imitieren – davon ist allerdings wenig im Film geblieben, das stimmt.
Es ist für mich schwer zu sagen, ob es an meinem Schnitt oder an ihrem Auftreten liegt, dass der Eindruck entsteht, den Sie gerade formuliert haben. Ich kann aber sagen, dass die Frauen, die zurückkehren, es normalerweise schwerer haben als die Männer. Das liegt vor allem daran, dass sie Kinder aus dem Busch mitbringen, was mit einem Stigma verbunden ist. Bei den Männern vergessen die anderen leichter, dass sie im Busch waren.
Stichwort »Stigma«: sie erwähnt einmal, dass der Vater eines ihrer beiden Söhne der Anführer der LRA, Joseph Kony, selber ist. Ist das etwas, das sie anderen gegenüber eher verschweigt, weil es das sonst noch schwerer machen würde für sie und ihre Söhne?
Da bin ich mir nicht wirklich sicher. Der Name des Jungen war ebenfalls Kony, aber den änderte sie, als sie zurückkehrte – vermutlich, weil der Name Kony so unangenehme Assoziationen weckt. Ich habe ja noch Kontakt zu den Familien und unterstütze sie. Der Junge besucht jetzt eine Mittelschule. Dort ist er auf jeden Fall beschützter, ich weiß nicht einmal, ob das Personal der Schule weiß, wer sein Vater ist. Der Junge selber jedenfalls weiß es, er hat den Film noch nicht gesehen, wohl aber sein jüngerer Bruder.
Wie haben Sie mit Ihren Protagonisten gearbeitet? Haben Sie die Kamera lange laufen lassen oder aber haben Sie vorab Anweisungen gegeben?
Wir haben zuerst den Schauplatz festgelegt, manchmal gab ich ein Thema vor, etwa im Restaurant, wo ich Geofrey aufforderte, jetzt über sein Leben zu sprechen. Bei den Gruppenszenen arbeitete ich mit einer Simultanübersetzung, damit ich dem Gespräch folgen konnte. Gelegentlich musste ich dann darauf hinweisen, dass sich das Gespräch zu sehr von dem eigentlichen Thema entfernte.
Sie haben vom »Abenteuer« des Dokumentarfilmmachens gesprochen: dass man zu Beginn oft nicht weiß, was am Ende dabei herauskommen wird. Inwieweit ist dieser Film erst im Schneideraum entstanden, inwieweit haben Sie beim Dreh Modifikationen Ihres Konzeptes vorgenommen?
In meinem ursprünglichen Konzept spielte der Dschungel eine viel größere Rolle. Das funktionierte aus den verschiedensten Gründen nicht. Auch hatte ich ursprünglich geplant, mehr Menschen im Film zu zeigen. Die Struktur allerdings, die Kidnappings, das Leben in der LRA und die Rückkehr nach Hause, das war von Beginn an da.
Dies ist Ihr Debüt als Dokumentarfilmregisseur. Wie haben Sie Sich darauf vorbereitet, sowohl was den Umgang mit den Menschen als auch den mit der Technik anbelangt?
Hat sich diese Arbeit auch aus ihren dokumentarischen Texten entwickelt?
Ja – dies ist eine neue Form, aber es gibt inhaltliche Parallelen zu meiner früheren Arbeit mit einer NGO in Afrika; Menschen, wie sie im Film zu sehen sind, habe ich schon früher kennen gelernt, Kämpfer, ehemalige Kämpfer. Die technischen Aspekte des Filmemachens habe ich von meinen Mitarbeitern gelernt; entsprechend wichtig war es dabei, die Richtigen auszusuchen. Wir haben uns viele Filme angesehen, so konnte ich ihnen verständlich machen, worauf es mir ankam: Dokumentarfilme wie Roberto Minervinis »Stop the Pounding Heart« oder »Wir, Kinder des 20. Jahrhunderts«, Vitali Kanevskis Film über Straßenkinder in St. Petersburg 1992, da war mir das Polyphone der verschiedenen Stimmen wichtig, dann Filme von Tarkowski – es waren nicht immer ganze Filme, manchmal auch nur einzelne Szenen, etwas ganz Spezifisches, etwa Bilder von Bäumen. Ich selber habe mir sehr viele Dschungelfilme angesehen – die verschiedensten Möglichkeiten, ihn zu filmen. Der Rest war »trial and error« – wir begannen mit großem Equipment, zwei Kameras, was wir dann aber schnell reduzierten.
Wie sind Sie mit ihrem deutschen Kameramann Johann Feindt zusammengekommen?
Er wurde mir von meinem deutschen Koproduzenten vorgestellt. Der Kameramann war mir sehr wichtig, ich habe neun Monate damit verbracht, den Richtigen zu finden, Johann hat auch Filme als Regisseur gemacht, die mir gefallen haben. Leider erkrankte er dann, so dass er nur beim ersten Drittel des Drehs dabei war, sein Assistent Joaquim hat dann die weiteren drei der insgesamt vier Drehphasen während des einen Jahres übernommen.
Die Festnahme und Befragung eines LRA-Kommandeurs gegen Ende des Films ist ein spektakulärer Höhepunkt. Mussten Sie seine Genehmigung einholen, um ihn filmen zu dürfen?
Nein, denn er war ein Kriegsgefangener. Das Interview mit ihm habe ich geführt am frühen Morgen, bevor er dann verlegt wurde. Ich habe ihm erklärt, worum es mir ging und er stimmte zu. Er wurde dann ja an die UN überstellt und sitzt jetzt in Den Haag im Gefängnis. Ich plane, ihm den Film dort zu zeigen und bin gespannt auf sein Urteil.
Hat sich seit der Fertigstellung des Films irgendetwas Neues ergeben?
Es gab einige Zwischenfälle: so versuchten Anfang des Jahres einige Männer von Konis Leibwache ihn zu töten, versagten aber dabei, weil sie nicht planvoll genug waren. Das zeigt, dass seine Macht immer noch beträchtlich ist.
Von 200 Kämpfern ist im Film die Rede…
Davon ist jetzt nur noch die Hälfte übrig geblieben, würde ich schätzen.
In der Befragung von Dominic kommt das Argument, »Wenn ich die Befehle nicht ausgeführt hätte, dann wäre ich selber erschossen worden.« Das haben auch viele Angeklagte 1945 gesagt. Sie sprechen darüber Ihren berühmten Roman »Die Wohlgesinnten« ...
Es gibt einen großen Unterschied: für das nationalsozialistische Deutschland stimmt das nicht: wer sich weigerte, Juden zu erschießen, wurde nicht getötet, während das für die LRA schon zutrifft: jeder Widerstand wurde sofort und schwer bestraft. Kony hat wiederholt Kommandeure eigenhändig getötet.
Waren Sie mehr an den Gemeinsamkeiten mit anderen totalitären Regimes interessiert oder an den spezifischen Bedingungen, mit denen wir es hier zu tun haben?
Ich würde dies nicht als ein Regime bezeichnen, es ist eine totalitäre Rebellensekte. Ich bin immer an globalen anthropologischen Fragestellungen interessiert, vertrete aber die Auffassung, dass man die speziellen Bedingungen analysieren muss, bevor man zu generellen Schlussfolgerungen kommen kann.
Sie haben gesagt, dies sei kein Stoff für einen Roman, weil sie zu den Denkweisen dieser Menschen als Außenstehender nur bedingt vordringen könnten. Haben Sie denn zunächst einen Roman erwogen?
Nein, mit war von vornherein klar, dass das nicht funktionieren würde. Man sollte über das schreiben, worüber man Kenntnisse hat. Zugegebenermaßen war ich noch nicht geboren, als der Faschismus in Deutschland an der Macht war, aber das war eine westliche Gesellschaft, ich bin jüdisch, ich konnte also eine Beziehung dazu herstellen. Es gibt gute Romane über Kindersoldaten, die meisten davon kommen aus Afrika, das würde ich nicht versuchen, ebenso wenig einen Spielfilm zum Thema.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns