Filmfest Oldenburg: Ein Hoch auf die Unabhängigen
Filmfest Oldenburg
Das 24. Filmfest Oldenburg überzeugte einmal mehr mit Independents und starken Debütfilmen
Während große Herbstfestivals wie Hamburg, aber auch Zürich und Wien, neben nationalen und internationalen Premieren sowie Previews kommender Kinostarts vor allem auch dem lokalen Publikum die Möglichkeit bieten, Filme der internationalen Festivals, zumal Cannes und Venedig, zu sehen, bei denen ein regulärer Kinostart eher unwahrscheinlich ist, setzt das kleine Festival in Oldenburg schon immer andere Akzente. Dabei bietet es einige wenige Previews, darunter auch (nord-)deutsche Fernsehproduktionen, einige Vertreter des seriösen Arthousekinos, mit dem man, zumal bei den beiden Vorführungen im Oldenburger Staatstheater, auch das ältere Publikum anspricht, sowie jede Menge junges, wildes Kino, das unabhängig produziert wurde.
Darunter fanden sich diesmal auch eine Reihe bemerkenswerter Debütfilme, etwa der Stop-Motion-Film »Junk Head« des Japaners Takahide Hori, der eindrucksvoll eine postapokalyptische Welt entwirft und dabei mit Liebe zum Detail gestaltet war (wie bei Filmen dieser Gattung in Anbetracht ihrer aufwändigen Herstellungsweise eigentlich obligatorisch). Er lief in der Reihe Midnite Xpress, die dem schrägen Kino vorbehalten ist und wo auch »The Endless« seinen Platz fand, der dritte Film des Duos Justin Benson und Aaron Moorhead. Den hätte ich eher auf dem parallel laufenden Fantasy Film Fest erwartet, wo seine beiden Vorgänger »Resolution« und »Spring« begeistert hatten. In seinen halluzinatorischen Momenten knüpfte er direkt an »Resolution« an und schlug den Bogen zu den Schauererzählungen eines H.P. Lovecraft, funktionierte aber auch in seiner Auseinandersetzung mit Sekten und ihrem Verführungspotenzial. Ein bemerkenswertes Kinodebüt legte Julius Ramsay vor, der – nach längerer Fernsehkarriere – »Midnighters« gemeinsam mit seinem Bruder Alston verfasste. Wie in Danny Boyles »Shallow Grave« (der von beiden als Vorbild genannt wurde) geht es um einen Batzen Geld, das wachsende gegenseitige Misstrauen und schließlich die Selbstzerfleischung der Protagonisten. Hier geht es um ein Ehepaar und die jüngere Schwester der Frau, die durch die Auseinandersetzung mit einem bösartigen und zu allem entschlossenen Eindringling in ihrem Haus nur zeitweilig suspendiert wird. Ebenso ein Spiel mit den Erwartungen des Zuschauers entfesselte das Filmdebüt der bildenden Künstlerin Camille Thoman. Ihr Werk »Never Here« beginnt wie eine Reminiszenz an Hitchcocks »Rear Window« und wird immer mehr zu einem verrätselten Mystery, das zudem mit einem schönen Auftritt des verstorbenen Sam Shepard aufwartet.
Hatte im vergangenen Jahr Nicholas Cage für eine rekordverdächtige Zuschauermenge gesorgt, als er auf dem Oldenburger Walk of Fame seinen Handabdruck verewigte, so setzte man diesmal auf einheimische Prominenz: Moritz Bleibtreu wurde diese Ehre zu Teil. Er war als Mit-Produzent des Eröffnungsfilms »Familye« zu Gast, ebenfalls ein Debütfilm – der am Ende mit dem ‚German Independence Award', dem Publikumspreis, ausgezeichnet wurde. Verdientermaßen, denn Kubilay Sarikaya und Sedat Kirtan gelang ein ebenso bild- wie figurenstarker Film, angesiedelt im kinematografisch unverbrauchten Berliner Außenbezirk Spandau. Eine Geschichte wie die von drei höchst gegensätzlichen türkischstämmigen Brüdern erzählt das junge deutsche Kino nicht zum ersten Mal (demnächst, übrigens mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle, wieder in »Nur Gott kann mich richten«). Umso mehr überzeugte der Film, weil er nur wenig auf Actionmomente und vielmehr auf eine genaue Figurenzeichnung setzte, zudem in seinen Schwarzweißbildern auch optisch gefiel. Der in diesem Jahr erstmalig mit 2500 € dotierte Preis sollte ihm helfen, einen Verleih zu finden.
Auch internationale Gäste gab es diesmal in Oldenburg, wie Silvio Soldini (»Brot und Tulpen«). Er und seine Hauptdarstellerin Valeria Golino hatten ihren Film, dessen internationaler Titel »Emma« mich zunächst an eine weitere Verfilmung des Jane-Austen-Romans denken ließ und der im Original ungleich schöner mit »Il colore nascosto delle cose« betitelt ist, erst kurz zuvor beim Festival von Venedig vorgestellt. Die Liebesgeschichte zwischen einer blinden Physiotherapeutin und einem Schürzenjäger gefiel nicht nur durch die ausdrucksvolle Hauptdarstellerin, sondern auch durch ihre leichtfüßigen komischen Momente. Ebenso überzeugte eine lakonische Erzählweise, die zugunsten der nüchternen Alltagsdarstellung auf das naheliegende Drama verzichtete – leider bis heute noch ohne deutschen Verleih.
Ein weiterer Stargast war der Schauspieler Lou Diamond Phillips, der vor 30 Jahren mit »La Bamba« und »Stand and Deliver« seinen Durchbruch hatte, heute aber eher in Nebenrollen in B-Filmen oder im Fernsehen (in der Serie »Longmire«) zu sehen ist. Das machte ihn, der mit seiner Familie angereist war, entsprechend entspannt – Starallüren waren nicht zu bemerken. Ihm war die diesjährige Hommage gewidmet, zu der auch die Weltpremiere des Films »Quest« gehörte. An »Stand and Deliver« erinnernd, erzählt Santiago Rizzo (ein weiterer Debütant) hier seine eigene Geschichte, die eines Dreizehnjährigen, der tagsüber die Schule schwänzt und nachts als Sprayer durch die Stadt zieht, bis er auf einen Lehrer trifft, der an ihn glaubt. Phillips verkörpert dabei – durchaus überzeugend – den eher unsympathischen, prügelnden Stiefvater des Protagonisten, dessen junger Hauptdarsteller Gregory Kasyan bei der Abschlussveranstaltung mit dem Preis für die beste männliche Darstellung ausgezeichnet wurde.
Der zweite Ehrengast des Festivals war der amerikanische Produzent Edward R. Pressman. Ihm war die diesjährige Retrospektive gewidmet – die erstmals einem Produzenten galt. Pressman, der im kommenden Jahr seinen 75. Geburtstag feiert und dessen jüngster Film (Regie: Barry Levinson) bei HBO laufen wird, hat die meiste Zeit seines Berufslebens als Unabhängiger gearbeitet (passte insofern auch gut zu Oldenburg). Dabei entstanden so singuläre Filme wie Terrence Malicks Regiedebüt »Badlands«, Mary Harrons »American Psycho«, Brian De Palmas »Phantom of the Paradise« und Oliver Stones »Talk Radio«. Allesamt wurden sie, neben vier weiteren, in Oldenburg gezeigt und von Pressman selber eingeführt, der genügend Anekdoten über die jeweilige Produktion erzählen konnte.
Mit 1500 Besuchern beim Eröffnungsfilm und insgesamt mehr als 16.000 verkauften Karten war die 24. Ausgabe des Filmfests Oldenburg auch geschäftsmäßig ein Erfolg; man darf gespannt sein, was die Jubiläumsausgabe Nr. 25 bietet.
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