Berlinale-Abschluss: Leise und laute Töne
»On Body and Soul« (2017)
Im Berlinale-Wettbewerb fehlten in diesem Jahr die großen Höhepunkte
Es war die vielleicht schönste und ungewöhnlichste Liebesgeschichte des Festivals. Der ungarische Beitrag »Testról és lélekrol« (internationaler Titel: »On Body And Soul«) von Ildikó Enyedi verbindet den genau beobachteten tristen Alltag seiner Protagonisten in einem Schlachthof mit einem magischen Realismus. Das Paar lernt sich in einem Ort des Todes, einem Schlachthof, kennen: Die neue Fleischkontrolleurin Maria, eine übergenaue, engelhaft blonde junge Frau, deren Wesen etwas Roboterhaftes hat, und den desillusionierten kaufmännischen Leiter Endre, der gelernt hat, mit seinem verkrüppelten Arm zu leben, verbindet eigentlich gar nichts. Und doch stellen sie fest, dass sie jede Nacht synchron träumen von einem Hirsch und einer Hirschkuh, die sich begegnen und miteinander paaren.
»On Body And Soul« war der zweite Film des Wettbewerbs nach dem Eröffnungsfilm, ein Film, der bei vielen Teilnehmern des Festivals im Laufe des Festivals gewachsen ist. Dass ihn am Ende die Jury unter dem Vorsitz des niederländisch-amerikanischen Regisseurs Paul Verhoeven den Goldenen Bären zugesprochen hat, entspricht dieser Tendenz. Und sagt einiges aus über den diesjährigen Wettbewerb, der durchaus breit und variationsreich aufgestellt war, dem aber die absoluten Highlights am Ende doch fehlten. Es war ein Wettbewerb, dessen Filme sozial engagiert waren, in dem aber auch viele Filme eine eher private Perspektive einnahmen.
Wie »Ana, mon amour« des Rumänen Calin Peter Netzer, der letzte Film des Wettbewerbs, der so durch zwei große Liebesgeschichten eingerahmt war. Netzer erzählt über einen Zeitraum von mehreren Jahren von einem Paar, das sich in einer gegenseitigen Abhängigkeit befindet: Sie leidet unter Panikattacken, er unter so etwas wie einem Sorgekomplex. Der Film erzählt seine Beziehungsgeschichte fragmentarisch, mit einer Handkamera, die dem Film mit Großaufnahmen Intimität verleiht und in einer Folge von Rückblenden. Dass die Cutterin Dana Bunescu für den besten Schnitt mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, scheint da folgerichtig.
Die dritte große Liebesgeschichte des Festivals ging leider leer aus, Volker Schlöndorffs in Englisch gedrehter »Return to Montauk«, seine Annäherung an die berühmte Erzählung von Max Frisch, in dem dieser seine Beziehung zu Ingeborg Bachmann verarbeitete. So heißt denn auch der Schriftsteller in diesem Film Max Zorn (Stellan Skarsgaard), der versucht, seine große Liebe zu Rebecca (Nina Hoss) nicht nur zu verarbeiten, sondern wiederaufleben zu lassen. »Return to Montauk« lotet sehr sensibel auch Gefühle wie Schuld aus und beschäftigt sich mit der schwierigen Beziehung zwischen Autor und Werk. Die Kritiker mochten den Film nicht. Und doch beeindruckt er durch seine fast klassisch zu nennende Erzählweise.
Leer ging zudem der Film aus, in dem am meisten gelacht wurde: Sally Potters »The Party«, mit 71 Minuten Länge der kürzeste Film des Festivals. Mehr als das Erdgeschoss eines Reihenhauses benötigt Potter auch an Schauplätzen nicht, um eine Komödie in Gang zu setzen, die um eine linksliberale Politikerin, die gerade zur Gesundheitsministerin ernannt wurde, zentriert ist. Auch wenn es durchaus eine Nähe zum Boulevard gibt: Potter entfacht in ihrer großen Satire ein Feuerwerk an pointierten und intelligenten Dialogen, die Lebenslügen sezieren.
Honoriert hat die Jury allerdings jene Wettbewerbsbeiträge, die sich der sozialen Realität widmeten oder gerade virulente Themen aufgriffen, wie der kongolesische Beitrag »Felicité« (Silberner Bär für den zweitbesten Film), in dem eine Sängerin und alleinerziehende Mutter in Kinshasa Geld auftreiben muss, um ihrem Sohn die Amputation seines Beines zu ersparen. Oder der polnische Film »Pokot« von Agnieszka Holland, ein mit den Mitteln des Horrorfilms arbeitender Ökothriller (Alfred-Bauer-Preis). Und »Un mujer fantastica« des Chilenen Sebastian Lelio, der von dem Recht auf Trauer einer Transgender-Frau erzählt (Silberner Bär für das beste Drehbuch).
Der beste Kommentar zur Lage kam in diesem Jahr von dem Finnen Aki Kaurismäki. Wie in seinem »Le Havre« erzählt er in »Die andere Seite der Hoffnung« wieder eine Flüchtlingsgeschichte: wie der syrische Flüchtling Khaled und der finnische Restaurantbesitzer Wikström aufeinander treffen. Kaurismäkis neuer Film ist nicht ganz so märchenhaft angelegt wie sein Vorgänger, er überzeugt aber nicht nur durch sein humanes Anliegen, sondern auch durch seine lakonische Erzählweise. Aki Kaurismäki hat in einem Interview verlauten lassen, dass er das Filmemachen aufgeben will. Vielleicht will die Jury mit dem Silbernen Bär für die beste Regie auch sagen: Mach weiter, Aki!
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