Bericht vom 65. Filmfestival von San Sebastian
Filmfestival von San Sebastian 2017
Mit der Verleihung der Preise gingen am gestrigen Samstagabend die 65. Filmfestspiele in der baskischen Stadt Donostia – San Sebastian zuende. Den Hauptpreis des Festivals, die Goldene Muschel, erhielt der US-amerikanische Beitrag »The Disaster Artist«
Wenn Tommy Wiseau einen Schauspielkurs besucht, dann klettert er die Bühnenkulissen hoch, lässt sich herunterfallen und windet sich auf dem Boden. Eine seltsame Performance, dieses Nachspielen des Riesenaffen aus »King Kong« – sicherlich nicht das klassische Repertoire, mit dem man auf den Bühnen glänzt. James Franco spielt diesen Tommy Wiseau mit langen schwarzen Haaren, ungelenken Bewegungen und einem osteuropäisch wirkenden Akzent. Tommy Wiseau gibt es wirklich, er hat 2003 den Film »The Room« präsentiert, der als der »Citizen Kane« der schlechtesen Filme aller Zeiten gilt, ein rätselhafter Typ mit viel Geld, dessen Herkunft bis heute nicht geklärt ist.
James Franco hat in »The Disaster Artist« diesem Wiseau, der zusammen mit seinem Kumpel Greg Sestero (gespielt von Francos Bruder Dave) »The Room« dreht, ein Denkmal gesetzt. Herausgekommen ist eine turbulente, aber auch anrührende Tragikomödie um die Dreharbeiten dieses Films, der heute als Kultfilm gilt. Mit Wiseaus Geld organisieren die beiden die Produktion, mieten ein Studio an – und lassen darin schon einmal eine Straße nachbauen, die sich draußen vor der Tür befindet. Die Film-im-Film-Geschichte gerät so auch zu einem Dokument in Sachen Selbstüberschätzung, Sexszenen eingeschlossen. Franco hat seinen Film mit einer gehörigen Portion absurdem Humor inszeniert, kann aber nicht verhindern, dass die von ihm gespielte Figur mitunter wie eine Karikatur wirkt und der Film manchmal in den Klamauk abdriftet.
Dass dieser Film den Hauptpreis des Festivals, die Goldene Muschel, bekam, hat auch für Kopfschütteln gesorgt. Sicher, James Franco ist einer der angesagtesten Typen im US-Kino und sowohl im Mainstream- als auch im Independent-Bereich unterwegs. Aber »The Disaster Artist« bleibt, anders als Tim Burtons vergleichbarer »Ed Wood«, an der Oberfläche. Und den roten Faden dieses Wettbewerbs gibt die Entscheidung auch nicht wieder. Denn den Wettbewerb dominierten in diesem Jahr die »kleinen«, alltäglichen Geschichten, die dennoch viel über die Gesellschaft, in der sie angesiedelt waren, erzählten.
»Life And Nothing More« etwa, den der Spanier Antonio Mendez Esparza in den USA inszenierte, erzählt von einer alleinerziehenden afroamerikanischen Mutter, deren Sohn nach einer Jugendstrafe wegen Diebstahls wieder in die Kriminalität abzugleiten droht. Der Titel dieses Films ist Programm: Esparza beschreibt das Leben seiner working-class-Figur, das schäbige Haus, die Arbeit als Kellnerin, aber auch ihr fehlender Zugang zu ihrem Sohn. In »Sollers Point« (ebenfalls USA), benannt nach einem Viertel in Baltimore, läuft ein unter Hausarrest stehender junger Mann mit einem großen Hass durch sein Leben, auch er ist wieder zu Gewalttaten bereit.
Der interessanteste Beitrag dieser kleinen Reihe war »Ni juge, ni soumis« (»So Help Me God«), von Jean Libon und Yves Hinant, ein Dokumentarfilm über eine Brüsseler Untersuchungsrichterin, bei dem man eher eine Mockumentary, eine gefälschte Doku, vermutet. Aber auch Anne Gruwez gibt es wirklich, und der Film zeigt sie bei der Arbeit in ihrem Büro, aber auch, wie sie einen alten Fall zweier ermordeter Prostituierten wieder aufrollen lässt. »Ni juge, ni soumis« ist ein Panoptikum der Schattenseiten der belgischen Gesellschaft, und Richterin Gruwez meistert die Konfrontation mit ihren Delinquenten mit Distanz und Humor. Leider hat die Jury diesen von seinem Ansatz her innovativen Film nur mit einer lobenden Erwähnung hervorgehoben. Aber immerhin wurden mit vier Preisen Filme bedacht, die genau und realitätsnah ihre Protagonisten beobachteten. Der argentinische Beitrag »Alanis« (beste Regie für Anahi Berneri und Silberne Muschel als beste Darstellerin für Sofia Gala Castiglione) beschreibt den Überlebenskampf einer Prostituierten, in »Pororoca« von Constantin Popescu (Preis für Bogdan Dumitrache als bester Darsteller) driftet der Vater einer verschwundenen Tochter in den Wahnsinn ab, und der ebenfalls aus Argentinien stammende »Una especie de familia« (Preis für das beste Drehbuch an Diego Lerman und Maria Meira) beschreibt einen – illegalen – Adoptionsversuch, der auch viel von den Klassengensätzen des Landes einfließen lässt.
Den Preis für die beste Kameraarbeit (Florian Ballhaus) vergab die Jury an den in Schwarzweiß gedrehten deutschen Beitrag »Der Hauptmann« von Robert Schwentke, der zuletzt in Hollywood gearbeitet hat. Was wie eine Groteske anmutet – ein Deserteur sammelt in den letzten Tagen eine versprengte Truppe um sich und begeht abscheuliche Kriegsverbrechen – beruht auf tatsächlichen Ereignissen. Eigentlich ist es eine Köpenickiade – der Deserteur eignet sich mit der Uniform eines Hauptmanns auch dessen Verhalten an –, doch Schwentke gelang eine Parabel: wie aus einem einfachen Soldaten ein Massenmörder wird.
Einer der Höhepunkte des Wettbewerbs ging leider vollkommen leer aus: Barbara Alberts meisterhaft inszenierter »Licht«, die Geschichte des blinden Piano-Wunderkinds Resi (Maria Dragus), die von dem Wunderheiler Dr. Franz Mesmer (Devid Striesow) behandelt wird. Der Österreicherin Albert, deren Film auch mit deutscher Beteiligung entstand, gelang entlang der Leidensgeschichte ihrer Protagonistin auch das Porträt der verknöcherten Gesellschaft der Rokoko-Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Resi wird zu einem Spielball, zwischen dem Wunderdoktor (der ihr wieder die Sehfähigkeit zurückgibt) und ihren Eltern, die um ihre Einnahmen fürchten – denn ihre Tochter spielt sehend nicht mehr so gut. Immerhin kommt der Film auch in die deutschen Kinos, wenn auch erst im nächsten Jahr.
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