Interview mit Guillaume Nicloux über seinen Film »Valley of Love«
»Guillaume Nicloux«
Guillaume Nicloux über seinen Film »Valley of Love« und seine Arbeit mit Isabelle Huppert und Gérard Depardieu
Monsieur Nicloux, das Ex-Paar in Ihrem Film macht eine spirituelle Reise. Schlug sich das im Dreh des Films nieder? Verlief der anders als bei Ihren früheren Filmen?
Die sind jedes Mal anders, denn ich bin als Person sehr mit dem verbunden, was ich drehe. Und bei meinen Entscheidungen lasse ich mich oft von Dingen leiten, auf die ich gar keinen Zugriff habe, mein Unbewusstes. Ich definiere beim Drehen nichts vorab, ich versuche, ganz in dem Moment zu sein und das aufzugreifen, wo wir uns gerade befinden.
Konnten Sie diesen Film chronologisch drehen?
Ich filme immer chronologisch – und versuche auch immer, von dem Unvorhergesehenen, den Unfällen, die passieren, zu profitieren. Aber auch die Schauspieler bringen ganz viel mit.
Isabelle Huppert hat geäußert, dass sie hier keine Proben hatte – mir war nicht klar, ob sich das nur auf die Szene bezieht, in der sie den Brief des toten Sohnes vorliest oder aber generell.
Grundsätzlich bin ich kein großer Freund von Leseproben oder von Proben überhaupt. Ich versuche vielmehr die Dinge zu nehmen, die mich eben nicht daran hindern zu träumen oder fantastische Moment zu erleben, diese spontanen Momente beim Dreh. Ich spreche im Vorfeld auch nicht über die Figuren – das brauchen Schauspieler wie Huppert oder Dépardieu auch nicht. Die Momente, die nicht näher definiert sind, loten wir gemeinsam aus. Das Drehbuch ist eine Grundlage, es entsteht erst zwischen den Zeilen, es interessiert mich eigentlich genau das, was nicht im Buch geschrieben steht und was dann in der Situation entsteht. Aber genau das will ich nicht im Voraus wissen.
Gibt es Unterschiede zwischen Depardieu und Huppert im Hinblick auf das, was sie von Ihrem Regisseur erwarten, oder sind sie sich da ähnlich?
Das sind zwei Persönlichkeiten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten in der Art, sich einer Rolle zu nähern. Auf der einen Seite eine Schauspielerin, die extrem arbeitsam ist, extrem professionell, sich permanent um die Details Gedanken macht, die sehr genau ist. Auf der anderen Seite haben wir einen Mann, der eigentlich nur im Moment lebt, der die Spontaneität sucht. Diese beiden Personen stehen sich in der Arbeit und im Leben diametral gegenüber, und es ist sehr interessant, weil in der Gegenüberstellung dieser Beiden etwas Drittes entsteht: sie schaffen gemeinsam eine dritte Person – und man merkt, dass genau das möglich ist. Das Ganze ist für mich spannend, ich als Regisseur gebe da möglicherweise nur ein paar Handreichungen, dass die beiden sich abstimmen können untereinander, wie vielleicht zwei Instrumente, die nicht für ein Zusammenspiel geschaffen sind und die es trotzdem schaffen, gemeinsam eine ganz besondere Musikalität, einen ganz besonderen Ton zu treffen, der perfekt ist. Ich habe nie versucht, die Arbeitsweise von Depardieu und Huppert irgendwie zu verändern. Ich versuche eigentlich nur, einige Berührungspunkte sichtbar werden zu lassen.
Generell hat jeder Schauspieler seine eigene Herangehensweise, sich an eine Rolle anzunähern. Das ist fast schon eine Alchemie, wie alle auf eine Welle kommen, in Verbindung miteinander treten und einen gemeinsamen Ton finden, ein Arbeitsklima, das von Vertrauen geprägt ist. Ich als Regisseur habe durchaus unterschiedliche Beziehungen zu Personen: Ich bin anders bei Michel Houellebecq als bei Michel Piccoli, ich antworte da nicht auf irgendwelche Erwartungen, ich versuche, in Beziehung zu treten mit der konkreten Person und ich versuche, so lebendig und so flexibel zu sein, wie es nur irgendwie geht, gleichzeitig so aufrichtig zu sein wie es möglich ist und versuche mich auf die jeweilige Person einzuschwingen. Ich bin gleichermaßen empfindsam und autistisch, überhaupt ist das eine höchst widersprüchliche Angelegenheit, denn wir fabrizieren ja schließlich Wahrheit mit den Mitteln der Lüge.
Die von Dépardieu gespielte Figur erklärt zu Beginn, ja, er sei in die Breite gegangen und er hätte Probleme mit seiner Figur. Von daher war es für mich später überraschend, dass er seinen Körper scheinbar ganz unbefangen präsentiert, als er in der Nacht, nur mit einer Schlafanzughose bekleidet, draußen herumläuft oder wenn er auf dem Bett sitzt.
Er hat ein positives Verhältnis zu seinem Körper, in diesem Film genau so wie in dem, den ich mit ihm danach, im letzten Sommer, gedreht habe.
Das Plakat hebt sehr stark ab auf die beiden Darsteller, deren Namen darauf sehr groß erscheinen. Wahrscheinlich werden sich Zuschauer in Frankreich eher daran erinnern, dass die beiden vor 35 Jahren gemeinsam in Maurice Pialats „Der Loulou“ gespielt haben. Haben Sie in Ihrer Vorbereitung darauf Bezug genommen, sich diesen Film noch einmal angeschaut?
Nein, aber ich schätze den Film sehr. Es gibt auch besondere Beziehungen zwischen diesem Film und meinem Film. Depardieu hat vier oder fünf Filme mit Maurice Pialat gedreht, und meine Produzentin ist die Witwe von Maurice Pialat, Sylvie, die ich auch schon seit längerem kenne, denn vor 10 bis 15 Jahren erhielt ich einen Anruf, dass Maurice Pialat einen meiner Romane verfilmen wollte. So entstand diese Beziehung. Das ist natürlich ein großer Zufall, dass dieses Buch auf dem Nachttisch von Maurice Pialat lag und dass nun fünfzehn Jahre später sein emblematischer Darsteller einen Film mit mir macht, den ausgerechnet Sylvie Pialat produziert – das sind schon ganz besondere Dinge, auf der einen Seite ziemlich mystisch – ein Zufall, der aber auch irgendwie zwangsläufig war.
Die Romanverfilmung kam seinerzeit aber nicht zustande?
Nein, Pialat ist kurz danach erkrankt und hat keinen weiteren Film mehr machen können.
Sie haben den Film Ihrem Vater gewidmet. Es geht im Film um die Beziehung eines Sohnes zu seinen Eltern. Hat die Widmung eine speziellere Bedeutung?
Ja. Der Film zeigt auch mein Problem - aber in einer umgekehrten Weise zu dem, was wir im Film sehen. Depardieu hat im Film wie im wirklichen Leben seinen Sohn verloren, ich habe meinen Vater verloren. So ist das Ganze gewissermaßen eine Spiegelung.
Sie haben nach »Valley of Love« einen weiteren Film mit Gérard Dépardieu gedreht…
Der Film verlängert die Beziehung, die Dépardieu und ich hier entwickelt haben, gleichzeitig verlängert er auch mein Suchen nach Antworten auf existenzielle Fragen. Wir sehen natürlich auch hier, dass der Film sehr stark ein Resonanzraum für das ist, was wir im jeweiligen Leben erleben, und ich nutze das Alibi des Kinos, d.h. ich nutze das Kino, das mir sehr viel mehr Freiheiten gibt und vermutlich auch erlaubt, wahrhaftiger zu sein, als wenn ich einen Dokumentarfilm mit Gérard Dépardieu machen würde.
Anmerkung:
»Dans les bois«, der von Guillaume Nicloux im Anschluss an »Valley of Love« gedrehte Film, in dem Gérard Dépardieu einen Jäger verkörpert, der bei einem Sommerspaziergang erst seinen Hund und anschließend seinen Weg verliert, hat seine Premiere bei der diesjährigen Berlinale im ‚Forums’-Programm.
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