Interview mit Patrice Leconte über seinen Film »Nur eine Stunde Ruhe!«
»Patrice Leconte«
Ich will ganz unterschiedliche Dinge ausprobieren
Monsieur Leconte, der Verfasser des zugrunde liegenden Bühnenstücks hat auch Romane verfasst, aber die Adaption seines eigenen Stücks war seine erste Arbeit für das Kino. Was mussten Sie Selber noch hinzufügen, bis aus dem Bühnenstück ein Kinofilm wurde?
Er hatte in der Tat viele Theaterstücke geschrieben und kam dann zu mir und sagte. „Ich möchte jetzt unbedingt versuchen, die Adaption für das Kino selber zu schreiben. Aber ganz ehrlich – wie macht man das?“ Dann habe ich ihm ein paar Tipps gegeben. "Ganz einfach. Du schreibst erstens: ein Saal, zweitens: ein Mann geht aus dem Saal." Irgendwie hat er es dann geschafft und einfach losgeschrieben. Zu Unrecht hatte er wohl angenommen, dass er technische Sachen mit hineinschreiben müsste in dieses Buch – etwa, wo die Kamera zu stehen hat. Ich sagte ihm: "Das vergiss mal alles – das ist mein Job." Ich wollte auch, dass er einen gewissen Sinn für Rhythmus entwickelt, einige Szenen waren einfach zu lang. Die Produzenten meinten, "Dreh das erstmal" – so haben wir es dann im Schneideraum gekürzt.
Wie viel vom Rhythmus entsteht bei Ihnen beim Dreh, wie viel im Schneideraum - gerade bei einem Film wie diesem, der ein forciertes Tempo hat?
Wichtig beim Drehen ist, diesen Rhythmus zu entwickeln und abzustimmen mit den Schauspielern, der Kamera, vor allem die Energie auszunutzen. Ich muss aufpassen, dass es niemals zur Karikatur verkommt und letztlich mache ich im Schneideraum genau das gleiche, in einer zweiten Etappe. Ich habe das große Glück, seit Jahren mit der gleichen Cutterin zu arbeiten, die ein ähnliches Rhythmusgefühl hat wie ich, wir sind da sehr synchron.
Sie waren bei einer Reihe von Filmen ihr eigener camera operator: ist das eher ungewöhnlich? Aus Amerika kennt man es von Peter Hyams und Steven Soderbergh. Bedeutet das für sie auch eine unmittelbarere Kontrolle über den Rhythmus?
Ich mache das seit »Tandem«, das war ein kleiner, intimer Film, bei dem ich mich das erste Mal traute, nachdem ich schon vorher Lust dazu gehabt hatte, aber direkt davor mit »Die Spezialisten« einen eher aufwändigen Actionfilm inszeniert hatte. Es gibt mehrere Gründe und Notwendigkeiten dabei. Ich sehe darin auch einen Vorteil, denn es fällt mir nicht so leicht, Dinge zu delegieren. Wenn ich ein Bild im Kopf habe, ist es leichter für mich, es selber zu machen als einem camera operator zu erklären, welches Bild ich genau haben möchte. Und sehr wichtig ist die Komplizenschaft mit den Schauspielern, die mir das ermöglicht. Die Schauspieler, die mit mir gearbeitet haben, waren nicht nur sehr beeindruckt davon, sondern auch sehr berührt von dieser Form der besonderen Zusammenarbeit, weil eigentlich außer der Kamera nichts zwischen uns ist. Das führt zu einer unglaublichen Nähe, die richtig sinnlich sein kann, zumindest bei Schauspielerinnen.
Hat sich das noch einmal verstärkt dadurch, dass jetzt digital gedreht wird?
Nein, das hat nichts geändert, es ist nur bequemer geworden. Du musst nicht mehr alle zehn Minuten sagen, ich muss neu laden, die Kameras sind letztlich die gleichen geblieben.
Wenn Sie schon vor Drehbeginn die Kamerabewegungen im Kopf haben, bedeutet das dann auch, dass Sie dem Chefkameramann Vorschläge machen, was das adäquate Licht wäre dafür – oder aber macht er Ihnen Vorschläge?
Es gibt diesen Moment, wo man sehr eng zusammenarbeitet, den ich auch sehr liebe, wo man quasi noch auf Drehortsuche ist. Drei Personen - ich, mein Chefkameramann und der Ausstatter - stellen sich als erstes die Frage: woher kommt das Licht? Solange wir die nicht beantwortet haben, können wir nicht anfangen zu drehen.
Zuerst war geplant, dass Fabrice Lucchini die Hauptrolle in diesem Film spielt. Er hatte sie lange auf der Bühne gespielt - und Sie Selber haben ja auch schon mehrfach mit ihm zusammengearbeitet. Wie hätte sich die Figur verändert? Clavier hat etwas Joviales, Großbürgerliches, Lucchini wirkt für mich von Anfang an eher neurotisch. Hätte das einen ganz anderen Film ergeben?
Das hätte schon sehr große Unterschiede ergeben. Fabrice meinte, er hätte die Rolle schon so oft auf der Bühne verkörpert, deshalb reize ihn der Film nicht. Clavier bringt natürlich seine Persönlichkeit mit ein: selbst wenn er zunächst nervt und unsympathisch ist, geht man in gewisser Weise als Zuschauer mit ihm mit. Fabrice wäre noch scheußlicher gewesen – da wäre das Publikum nicht unbedingt mitgegangen. Das Theaterstück endet damit, dass er inmitten des Trümmerhaufens, in den die Wohnung verwandelt wurde, endlich seine Schallplatte hören kann – aber die hat einen Sprung. Dann fällt der Vorhang. Ich als Zuschauer habe mir nur gedacht: das hast Du verdient, du Arsch!
Das Ende mit Michels Vater haben Sie also hinzugefügt?
Ja, denn da erkennt Michel, wer er wirklich ist, was er alles verpasst hat. Er wird eine Figur, mit der du als Zuschauer irgendeine Form von Empathie empfindest.
Haben Sie das Stück des fiktiven Jazzklarinettisten Niel Youart aus dem Bühnenstück übernommen? Als Nichtkenner habe ich mich gefragt, ob die Jazzfans dem Urteil des Nachbarn, Youart sei ja gar nicht der tolle Musiker, zu dem ihn Michel verkläre, zustimmen würden.
Das Musikstück existiert, wir haben es nur fiktiven Autoren zugeordnet (aber die Rechte daran erworben). Ich fand es einfach einen komischen Moment, wenn der Nachbar meint, das sei gar nichts Besonders, damit bricht natürlich für Michel eine Welt zusammen.
Kann man sagen, dass Christian Clavier und seine Kollegen von der Truppe ‚Splendid’ für Ihre Kinokarriere verantwortlich waren, weil die damals gesagt haben, der ist der Richtige, um unseren ersten Kinofilm, »Les Bronzés« zu inszenieren?
Ich hatte vorher einen einzigen Film gedreht, der ein Flop war. Durch den Erfolg von »Les Bronzés« wurde mein Leben sehr viel harmonischer und ich konnte einfach weitermachen. Trotzdem würde ich sagen, wir haben uns nichts zu verdanken, andererseits haben wir uns alles zu verdanken.
Ich bin wahrscheinlich nicht der Einzige hierzulande, der Ihre Arbeit erst mit »Der Mann der Friseuse« und »Monsieur Hire« kennengelernt. Die meisten Filmkunstliebhaber haben vermutlich nie einen Film der »Les Bronzés«-Reihe gesehen – und wenn doch, sich möglicherweise gefragt, gibt es zwei Regisseure mit Namen Patrice Leconte? Ist das für Sie auch eine Frage, wonach Ihnen im Augenblick mehr der Sinn steht, nach etwas Dramatischem oder aber nach einer Komödie?
Das ist nicht unbedingt eine Frage der Stimmung, vielmehr hat es mich schon immer gereizt, ganz unterschiedliche Dinge auszuprobieren, weil ich immer Angst hatte mich anderenfalls zu langweilen – denn dann langweile ich auch den Zuschauer. Ich glaube, was mir in meinem tiefsten Inneren am meisten entspricht, ist das, was am gefühlvollsten ist. Ich liebe es, Leute zum Lachen zu bringen (das ist gar nicht so einfach), aber ein Film wie »Der Mann der Friseuse« ist mir schon näher als »Nur eine Stunde Ruhe!«
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