20. Filmfestival von Busan

Trauma-Klima
»The Walnut Tree« (2015)

»The Walnut Tree« (2015)

Jubiläumsjahrgang mit Aussetzern: Auf dem 20. Filmfestival im koreanischen Busan schwächelte ausgerechnet der heimische Film

Filmfestivals lieben es, ihre Bilanzen mit Rekord-Besucherzahlen zu krönen. Das war auch beim Jubiläumsjahrgang im südkoreanischen Busan nicht anders. Exakt 227 337 Zuschauer meldeten die Macher des 20. Busan International Film Festivals (BIFF) in der Küstenmetropole, wobei sie sogleich hinzufügten, der Rekord sei knapp ausgefallen. Letztes Jahr waren es kaum 1000 Besucher weniger, allerdings bei acht Filmtiteln mehr im Programm.

Das Publikum also hält seinem BIFF die Treue, und das ist nicht selbstverständlich. Denn seit das Festival, das als das Cannes Asiens gilt, vergangenen Herbst zum Unmut seiner staatlichen Geldgeber eine scharf regierungskritische Doku über das »Sewol«-Fährunglück ins Programm nahm, steht es unter politischem Beschuss. Erst drängte der Bürgermeister Busans, das die Hälfte der Subventionen trägt, Festivalchef Lee Yong-kwan massiv zum Rücktritt, dann halbierte die staatliche Filminstitution KOFIC ihre Förderung. Sponsoren glichen die Kürzung zwar aus; welchen Weg aber das Festival unter solchen Pressionen künftig nimmt, ist zweifelhaft, zumal Lees Vertrag im Februar ausläuft.

Tatsächlich scheint das Land durch die ungenügende Aufarbeitung der Schiffskatastrophe, bei der über 300 Schüler starben, nachhaltig traumatisiert. Das spiegelte sich auch subtil im Festivalprogramm. So ging einer der beiden mit 30 000 Dollar dotierten Preise des einzigen Wettbewerbs, »New Currents«, an »Immortal« von dem Iraner Hadi Mohaghegh. Das gesamte Geschehen in einem entlegenen Bergdorf ist dem verzweifelten Versuch eines Mannes gewidmet, den Tod zu finden; nach einem Familienfest hat er als Fahrer eines Kleinbusses einen Unfall verursacht, bei dem die meisten seiner Verwandten starben. Ein Enkel pflegt den körperlich und seelisch Versehrten klaglos, und als der junge Mann heiratet, nimmt er seine Braut mit in die schlichte Behausung, die er mit dem vollends verstummten Großvater teilt. Aber selbst die zarteste Buntheit des Lebens hat in diesem von einem übermächtigen Todeswunsch geprägten Raum keine Chance.

In prächtige Panoramen einer kargen Landschaft und in klaustrophobische Ansichten der Sterbekammer kleidet Mohaghegh sein Drama einer unauslöschlichen Schuld – und so setzte die von der taiwanesischen Schauspielerin und Regisseurin Sylvia Chang geleitete Jury beim zweiten Preis auf einen vitalen Kontrapunkt. »Walnut Tree« des Kasachen Yerlan Nurmukhambetov feiert anlässlich der turbulenten Vorbereitungen einer Dorfhochzeit, an der alle Bewohner ihren Anteil haben, pure Lebensfreude. Anders als »Immortal«, der für ein Gedankendrama auf Bildersuche geht, ist »Walnut Tree« pralles ethnografisches Kino mit semidokumentarischen Elementen.

Keine Auszeichnungen gab es, trotz zweier Konkurrenten, für Korea in dieser Prestigekategorie. Tatsächlich schwächelte das breit präsentierte heimische Filmschaffen in Busan massiv – am Ende eines Jahres, in dem es kein Vertreter des unlängst noch so innovativen koreanischen Kinos in die Wettbewerbe von Cannes, Venedig und Berlin geschafft hatte. Vom Blockbuster »Veteran« von Ryoo Seung-wan bis zu den zahllosen Jungmädchenfilmen – wie »School Girl« von Park Geun-buem und »Steel Flower« von Park Sukyoung – schien vieles nur für den Binnenmarkt gemacht. Wobei alle Genres, ob Polizeithriller oder Coming-of-Age-Drama, ob komödiantisch oder mit tragischer Note, früher oder später die rohe Gewalt um ihrer selbst willen feierten. Oder dem ewigen Handyklingeln noch die substanziellsten dramaturgischen Impulse überließen.

Einzig Kim Ki-duk stach unter den großen Namen hervor, für die Korea in der Aufbruchphase nach der Jahrtausendwende stand. Doch auch er steckt in einer Kreativkrise. Nach Busan brachte er seine No-Budget-Produktion »Stop« mit, im Alleingang in Guerilla-Manier im Japan nach Fukushima gedreht und bewusst als politisches Pamphlet gedacht – gipfelnd in dem Appell, nicht nur auf Atomkraft, sondern ganz auf elektrischen Strom zu verzichten. Letztlich lässt auch »Stop« sich als schrilles Echo auf das aktuelle koreanische Trauma-Klima lesen: Fukushima ist nur die nächstschlimmere menschengemachte Katastrophe, ein Land weiter.

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