Kritik zu A Young Man with High Potential
Inzwischen eine Genre-Geschichte: In Linus de Paolis Film wird ein schüchterner Computerheld aus Frustration über die Zurückweisung einer Frau gewalttätig – mit Folgen auch für die Wahrnehmung des Films
Genrefilme funktionieren nur durch Wiederholung bereits etablierter Erzählmuster – diese aber mit Leben zu füllen, gelingt nicht immer, wie einmal mehr der deutsche Thriller »A Young Man With High Potential« beweist. Schon die Prämisse strotzt vor Klischees: Die Hauptfigur Piet (Adam Ild Rohweder) ist ein bärtiger, schüchterner Informatikstudent und hatte noch nie eine Freundin. Im Gegensatz zu seinem machohaften Mitbewohner Alex (Pit Bukowski) geht er kaum unter Leute, sondern sitzt allein in seiner Wohnung, lässt sich Sushi vom Lieferservice bringen und schaut Pornos. Aber er ist ein Genie seines Fachs: Ein von ihm entworfener Algorithmus könnte die Online-Welt verändern. Als er mit seiner hübschen Kommilitonin Klara (Paulina Galazka) eine Semesterarbeit vorbereiten muss, werden in dem zurückgezogenen jungen Mann unbekannte Gefühle wach, die sich schließlich auf gewalttätige Art entladen...
Regisseur und Co-Autor Linus de Paoli entwirft seine Figuren so stereotyp und holzschnittartig, dass von Anfang an nur wenig Raum für Entwicklung besteht. Dass seine Hauptfigur ein brillanter Wissenschaftler sein soll, bleibt bloße Behauptung – abgesehen davon, dass diese Beschreibung mehrmals wiederholt wird, liefert der Film keine Beweise dafür. Aber wo Piet zumindest noch rudimentäre Charakterzüge zugerechnet werden können – er hört gerne Reggae und ist ein penibler Ordnungsfanatiker – sind die Nebenfiguren nicht mehr als Schablonen: Pit Bukowski (u.a. »Der Bunker«) ist mit seiner Rolle als prolliger Sidekick Alex etwa komplett unterfordert.
Noch schlimmer aber steht es um die zentrale Frauenfigur: Klara ist eine reine Projektion der gierigen Gelüste des Protagonisten und hat außer ihrer äußeren Erscheinung keinerlei erkennbare Eigenschaften: weder scheint sie besonders viel von Informatik zu verstehen, noch erlaubt ihr der Film andere Interessen oder Ideen. Als Klara Piets Avancen zurückweist, zeigt er schließlich sein wahres Gesicht: Er setzt sie unter Drogen und vergewaltigt sie, dabei kommt sie aufgrund einer Überdosis ums Leben. Genau an dieser Stelle übertritt de Paolis Film die Grenze von »formelhaft« zu »problematisch«. Ein Film, der einen zuvor als Identifikationsfigur eingeführten Protagonisten eine solche Tat begehen lässt, benötigt erzählerisches Fingerspitzengefühl, um sich nicht implizit auf dessen Seite zu stellen; genau daran aber mangelt es »A Young Man With High Potential«. Vor allem die nicht vorhandene Charakterisierung des weiblichen Opfers wird ihm zum Verhängnis.
Filme wie »Henry: Portrait of a Serial Killer« oder »American Psycho«, die provokant aber geschickt mit dem Bedürfnis des Publikums nach Identifikation spielen, mögen dem Filmemacher hier als Vorbild gedient haben. Sein Film aber, der wenig bis gar nichts über den Kontext seiner Handlung verrät, verkommt zusehends zur abstoßenden Farce. Eine überflüssige Rahmenhandlung, in der Amanda Plummer einen lustlosen Gastauftritt als Privatdetektivin liefert, hinterlässt schließlich komplett ratlos.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns