Kritik zu Wir sind alle erwachsen
Eine Sommer-Urlaubskomödie, wie sie nur die Franzosen können: Jean- Pierre Darroussin laviert sich als alleinerziehender, pedantischer Vater durch Schweden und muss das Erwachsenwerden seiner Tochter verkraften
Zwei Franzosen in der Fremde. Albert ist ein tapsiger Tyrann. Er arbeitet als Bibliothekar in Paris, und einmal jährlich nimmt er seine inzwischen 17-jährige Tochter mit auf eine Reise. Berlin und Rom haben sie bereits erkundet. Jetzt sind die beiden unterwegs zu einer Insel an der schwedischen Westküste, zwei Wochen wollen sie bleiben. Sie haben eine Unterkunft gemietet. Ein rotes Holzhäuschen mit verwildertem Garten und pastellfarbenen Räumen. Doch als Albert und Jeanne eintreffen, ist dieses bereits belegt. Ihre Vermieterin hat sich im Zeitplan geirrt und wohnt in dem Haus mit einer Freundin. In der Hochsaison im August lässt sich kein Ausweichquartier für die Gäste finden, und so bleibt dem Quartett nichts anderes übrig, als die zwei Wochen zähneknirschend unter einem Dach zu verbringen.
In der erzwungenen Nähe schälen sich Reibungsflächen heraus. Albert stört die weibliche Präsenz im Haus. Sie verunsichert ihn. Seitdem ihn seine Frau verlassen hat, lebt er allein mit seiner Tochter. Die beiden selbstbewussten Mitbewohnerinnen, ebenfalls Franzosen, genießen die Tage und leben in ihrer eigenen Welt. Annika, die Vermieterin, trifft durch Zufall einen Mann aus ihrer Vergangenheit. Christine, eine Kostümbildnerin, telefoniert des Öfteren von einer Telefonzelle aus mit dem Festland und wartet auf eine Entscheidung. Sie amüsieren sich über den pedantischen Kauz, der mit einem Metalldetektor nach einem Wikingerschatz sucht.
Seine Tochter Jeanne blüht in der weiblichen Gesellschaft auf. Sie beobachtet die älteren Frauen fasziniert. Vor dem Spiegel in ihrem Schlafzimmer probt sie das Erwachsensein So bekommt sie nach und nach ein Gefühl für ihre weibliche Seite, die ihr Vater nicht zulassen kann oder will. Er belehrt und kontrolliert Jeanne ständig, untergräbt mit Taktlosigkeit und Schroffheit ihr Selbstbewusstsein, lässt ihr keinen Raum für selbst gewählte Schritte, für eine eigene Identität.
Die Kamera wiederum beobachtet die Szenerie als Vexierbild, mit der kargen Landschaft als Rahmung. Moosbewachsener, polierter grauer Fels grenzt die Küste scharf vom spiegelglatten Meer ab, auf dem Albert in seinem Kanu paddelt. Er strandet und hockt wie Robinson Crusoe fluchend auf einem grauen Steinhügel, bevor ihn ein Boot einsammelt.
Jean-Pierre Darroussin, der in »Dialog mit meinem Gärtner« (2007) schon einmal den verschrobenen Kauz gab, verleiht der Figur des Albert genau die beseelte Unschuld, die ihn nicht zur Karikatur verkommen lässt. Und die 21-jährige Anais Demoustier als Jeanne blickt mit großen naiven Augen in die Welt. Sie lässt sich an der Seite ihrer Urlaubsbekanntschaften durch den Sommer treiben und erlebt die aufregendsten Wochen ihres Teenagerlebens. So gehört der letzte Moment des Films, in dem sie ganz bei sich ist, ihr: Kräftig tritt sie in die Pedale ihres Fahrrads, strahlt vor Freude und hat sich die Fremde erobert – ganz allein.
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