Kritik zu Wer ist Thomas Müller?
Die Frage richtet sich nicht nach einem bekannten Fußballer, sondern nach dem Durchschnittsdeutschen, den Dokumentarfilmer Christian Heynen hier vorgeblich porträtieren will
Müller ist der häufigste deutsche Nachname. Und der Vorname Thomas war bei den von 1957 bis 69 geborenen Jungen der große Hit, bis er von Christian, Jan und Leon verdrängt wurde. Logischerweise muss dann in der Generation der derzeitigen Best Agers Thomas Müller die häufigste männliche Namenskombi sein. Das reicht für Filmemacher Christian Heynen als Anlass, sich auf der Suche nach dem typischen Deutschen einige ausgewählte Thomas Müllers zum Interview vorzuknöpfen, die (jedenfalls nach Heynens Einschätzung) die relevanten Themen unserer Zeit repräsentieren.
So treten nacheinander auf: ein bayerischer Anlageberater, ein kölscher Comedian, ein Priester, ein Imbisswirt, ein Soldat. Und irgendwann kommt sogar eine Sabine Müller, nicht zufällig wohl ausgerechnet an der Stelle, wo es ums Verhältnis der Geschlechter geht. Man plaudert miteinander über dies und das, während der die einzelnen Episoden verbindende Kommentar keine Plattitüde auslässt. In einmontierten Statements aus einer Onlineumfrage (derzeit sehr in Mode!) werden noch einmal die üblichen Deutschen-Klischees von den weißen Socken bis zur roten Ampel durchdekliniert. Als visuelle Gimmicks gibt es ein bisschen Animation und eine bunte Mischung aus statistischen Durchschnittsdaten, die über das Bild gestreut werden.
Siebzehn Jahre ist es her, dass Thomas Frickel mit Deckname Dennis eine höchst unterhaltsame satirische Bestandsaufnahme deutscher Befindlichkeiten vorgenommen hat. Seitdem hat sich viel im Lande verändert, und eine filmische Neukartierung könnte durchaus angebracht sein. Doch leider gelingt das Wer ist Thomas Müller? nicht. Nicht nur weil er mal wieder in dem auch durch hundertfache Wiederholung nicht origineller werdenden »Sendung-mit-der-Maus«-Ton (»Um das herauszufinden, fahre ich zu dem Ort, wo alle Informationen über uns gesammelt werden, dem Bundesamt für Statistik«) daherkommt, die mittlerweile gefühlt schon jeden zweiten deutschen Dokumentarfilm ungenießbar macht.
Auch inhaltlich ist der Film bedenklich, weil er die scheinbar offene Frage nach dem Deutschen in seinem an ein national formatiertes Publikum adressierten Kommentar praktisch schon beantwortet, indem er ein entsprechendes Gemeinschaftsgefühl konstruiert: So wird gerne im Wir-Modus gesprochen (»Wenn unsere Jungs auf Torjagd gehen«), und dann muss der Zuschauer sich auch (»Wir waren wieder wer«) das Wunder von Bern samt Torjubel zum tausendsten Mal anschauen. Auch sonst ist es so, dass die vorgebliche Recherche im Film eigentlich nur nachträglich die vorgefertigte Argumentation des Skripts illustriert (»vielleicht kann ich das hier, in der Nähe von Magdeburg erfahren...«) und sich dabei niemals auf die Situationen als solche einlässt, sondern in ihnen nur Bestätigung sucht. Am Ende ist dann die Botschaft des Films so banal, dass man sie selbst als Kritikerin kaum auszusprechen wagt: dass nämlich trotz Statistischen Bundesamts jeder ein vom andern unterschiedliches Individuum ist. Und ganz am Ende kommt dann doch noch der wohl derzeit prominenteste Müllersbursche auf die Leinwand, der vom FC Bayern. Aber was all das im Kino verloren hat, weiß der sicher auch nicht.
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