Kritik zu Von Vätern und Müttern
Paprika Steen erforscht als Regisseurin mit den Mitteln von Komödie und Beziehungsdrama den Mikrokosmos Schule, in dem Konflikte in den Beziehungen von Vätern, Müttern und Kindern vorprogrammiert sind
Pernille und Ulrik haben Übung beim Bewerbungsgespräch in der Schule. Für ihre zwölfjährige Tochter Hannah ist es bereits der vierte Neubeginn in einer dänischen Bildungsanstalt. Nirgends hat es das laut Mutter kreative und lernbegierige Kind lange ausgehalten. Jetzt also soll es die Klasse 6B in der Adlerhus Skole sein. Die erste Szene von Paprika Steens Film »Von Vätern und Müttern« zeigt ein nervöses Elternpaar (Katrine Greis-Rosenthal und Jacob Lohmann), ein skeptisches Kind (Ida Skelbaek-Knudsen) und einen selbstverliebten Direktor. Adrian (Lars Brygmann) genießt die Macht, die ihm sein Amt verleiht. »Die Eltern sind das Rückgrat unserer Schule«, hören Pernille und Ulrik. Ohne deren Engagement läuft nichts. Zum Beispiel die geplante Elternparty mit dem Motto »China« und die traditionelle Hüttenfahrt.
Steen, die als Schauspielerin unter anderem in Lars von Triers »Die Idioten« (1998) und Thomas Vinterbergs »Das Fest« (1999) mitgewirkt hat, taucht tief hinein in das Universum Schule. Jan Pallesens Kamera erforscht einen kinoaffinen Mikrokosmos, in dem sich Ehrgeiz und Egoismus, Konkurrenz, Koalitionen und intrigante Manöver prächtig entfalten.
Vier Monate nach ihrem Gespräch mit dem Direktor bewegen sich der Arzt Ulrik und die Designerin Pernille (genannt Piv) noch am Boden der Schuleltern-Hierarchie. Die Hüttenfahrt konfrontiert sie mit einem strengen Regelwerk, das auch den unbeliebten Toilettendienst einschließt. Es gibt viel zu sehen: Flirts, Spannungen innerhalb der Gruppe und zwischen Eltern und Kindern, Lagerfeuer-Idylle, archetypische Gespräche unter Männern, eine gruselig aufgeladene Nacht-Rallye sowie eine von Alkohol und Cannabis geprägte Feier, Riesenkater inklusive. Das eröffnet der Regisseurin komödiantische Angebote, die ihr Ensemble spielfreudig ausgestaltet. Merete Maerkedahl als Lis verkörpert das woke Über-Ich der Elternschaft, mit dem nicht zu spaßen ist, wenn es um Inklusion, Tierwohl und kulturelle Aneignung geht. Rasmus Bjerg spielt mit tragikomischen Nuancen den gemeinschaftlich verlachten Per. Per isst mehr, als ihm guttut.
Aber das Drehbuch von Jakob Weis wirkt auch, als hätte der schwedische Dramatiker und strenge Seelenanalytiker August Strindberg (1849–1912) daran mitgeschrieben. Schonungslos beobachtet die Kamera, wie die zwanghafte und permanent angespannte Piv nicht nur an den Nerven ihres Mannes sägt. Ulrik hingegen hätte gewiss nichts gegen eine Affäre mit der herausfordernden Kinderpsychologin Julie (Amanda Collin). Ihre Frage »Bist du ein guter Mensch?« bringt ihn sichtlich aus der Fassung.
Der Film entwickelt eine Dramaturgie der Eskalation. Lebenslügen und intime Geheimnisse kommen an die Oberfläche, psychische und physische Kampfhandlungen addieren sich zu einer explosiven Mischung, Ausgrenzungstendenzen nehmen wie in einer Sekte zu. Ironischerweise begleitet der muntere Song »Mama Loo« der Les Humphries Singers aus dem Jahr 1973 den ernüchternden Befund: »Mama Loo / She's gonna go far / Got a hot rod car / She's a rock and roll star.«
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