Kritik zu Über-Ich und Du

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Nichts passt besser zusammen als das, was überhaupt nicht zusammenpasst:­ ­Benjamin Heisenberg Der Räuber«) verwickelt in seinem neuen Film die ­Schauspieler André Wilms und Georg Friedrich in ein analytisches Buddymovie

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3 (Stimmen: 3)

Sie sind überall, die Heißluftballons, mit denen Ausflügler und Touristen über München und sein malerisches Umland hinwegschweben. Die Menschen in ihnen bleiben unsichtbar, aber deren Stimmen tönen dafür umso lauter. Gesprächsfetzen wie aus dem Leben gegriffen – nur kommen sie direkt aus dem Himmel. Und wie in einem Café oder in der Fußgängerzone ist da immer jemand, der eine Meinung hat und sich einmischt, ohne die Zusammenhänge zu kennen. Es sind absurde Dialoge und Kommentare, die sich gleich einem bizarren Audiokommentar über die von Kameramann Reinhold Vorschneider perfekt komponierten Bilder legen. Natürlich passen sie nicht zu den Geschehnissen, die sich gerade auf dem Boden unter den Ballonfahrern abspielen. Aber genau das macht sie bei aller Banalität so faszinierend.

Die Abweichung ist das eigentliche Prinzip, das hinter Benjamin Heisenbergs absonderlicher Komödie Über-Ich und Du steht. Hier soll nichts wirklich zusammenpassen. Schließlich ist eine Welt, in der alles harmoniert, sowieso nur eine Illusion. Ein Traum, der schön klingt, sich aber wahrscheinlich ganz schnell in einen Alptraum alles erstickender Konformität verwandeln würde. Außerdem sind schon Heisenbergs Protagonisten, der mehr als 90-jährige Psychoanalytiker Curt Ledig (André Wilms) und der etwa halb so alte Kleinkriminelle Nick Gutlicht (Georg Friedrich), schlagende Beweise dafür, dass sich im Leben nichts wirklich decken muss.

Der eine ist in seinem Fach zu einer Berühmtheit geworden. Ein von Kollegen und Schülern bewunderter Denker, der aber fast sein gesamtes berufliches Leben darunter gelitten hat, dass er seine akademische Karriere einst als Günstling Joseph Goebbels begonnen hat. Das Trauma der deutschen Schuld, die für ihn eben auch eine ganz persönliche Dimension hat, lastet schwer auf Ledig. Der andere blickt erst gar nicht zurück. Von so etwas wie einem Gewissen lässt sich Nick nicht aufhalten. Als Dieb, der eine besondere Vorliebe für seltene und teure Buchausgaben entwickelt hat, kann er sich Schuldgefühle auch kaum leisten. Dafür hat er aber umso größere Schulden. So ist er ständig auf der Flucht vor »Mutter« (Maria Hofstätter) und ihren Häschern.

Ein Zufall, der sich für beide schließlich als Glücksfall entpuppen wird, führt Ledig und Nick zusammen. Auf der Suche nach einem Versteck landet der Dieb ausgerechnet bei dem Psychoanalytiker, der durch ihn erstmals wieder Interesse an seinem Fach entwickelt. Denn plötzlich ist es Nick, der unter den Ticks und Schrullen des alten Mannes leidet, während der sich so jung wie lange nicht mehr fühlt. Von Übertragungen zwischen einem Psychiater und einem Patienten hat man natürlich schon gehört. Aber Heisenberg treibt dieses Phänomen ins Extrem und damit auch ins Absurde, wenn Nick plötzlich keine Küche mehr betreten kann und fortwährend unter einem nervösen Zucken seiner Augenlider leidet.

Das Buddymovie, dessen klassische Konstellationen Heisenberg hier auf burleske und doch auch philosophische Weise variiert, wird zur Buddy-Fallstudie. Dabei dreht sich alles darum, auf wie viele Arten Schuld und Schulden miteinander verbunden sind. Über-Ich und Du gleicht, das verrät letztlich schon sein Titel, einem besonders drastischen Wortspiel, das auf brachiale Weise Untergründiges zum Vorschein bringt. Die Rückkehr des Verdrängten schafft nichts als Unordnung und Chaos. Aber eben in dieser Unordnung, und das ist der grandiose Witz dieser Komödie gegen alle Konventionen, liegt auch die schönste Ordnung. Nichts passt besser zusammen als das, was überhaupt nicht zusammenpasst. Insofern sind der introvertierte André Wilms und der immer etwas kraftmeierische Georg Friedrich auch das perfekte Schauspielerpaar für diese Liebeserklärung an eine Welt der Gegensätze und Widersprüche, in der jeder eine Meinung, aber keiner recht hat.

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