Kritik zu Sightseers

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Mit Wohnwagen und gehäkelter Reizwäsche im Gepäck macht sich ein frischverliebtes Paar auf eine Reise durch Nordengland. Leichen pflastern ihren Weg…

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Willkommen in meiner Welt«, raunt Chris durch seinen roten Vollbart, als die Reise losgeht, und er hat bereits einen detaillierten Plan für den Campingtrip festgelegt, mit Höhepunkten wie dem Straßenbahnmuseum von Crich und dem Bleistiftmuseum von Keswick. So aufregend wie diese Ziele wirken auch die beiden Mittdreißiger, die seit ein paar Monaten ein Paar sind: Chris träumt zwar von der Schriftstellerei, hat bislang aber nichts Lesbares vorzuweisen, und die etwas naive Tina, die noch bei ihrer Mutter in einem muffigen Einfamilienhaus lebt, ist ein Mauerblümchen, dem man sofort eine gute Portion frische Luft wünscht. Doch die scheinbaren Langweiler aus der Provinz haben es faustdick hinter den Ohren, und »Sightseers«, der dritte Film von Regisseur Ben Wheatley zelebriert ihre dunklen Seiten genüsslich.

Die Lustreise währt nicht lange, da gibt es den ersten Zwischenfall. Ein anderer Tourist erregt mit seinem achtlosen Wegwerfen von Abfall den Ärger des Sauberkeitsfanatikers Chris – und kommt unter die Räder. Ist Tina da noch geneigt, sein Ableben für einen Unfall zu halten, wird sie schon kurze Zeit später eines Besseren belehrt. Denn die Welt ist voll von Ignoranten, und jeder, der die Ruhe, den Zusammenhalt oder einfach nur die gute Laune des Pärchens gefährdet, ist ein Todeskandidat. Durch ihre Liebe für den selbstbewussten Partner entdeckt Tina nun die eigene Fähigkeit, rigoros durchzugreifen. So ziehen die beiden eine blutige Spur durch die grünen Hügel Nordenglands. Sanfter Tourismus sieht wohl anders aus.

Schon Jahre vor der Entstehung des Films begannen die britischen Comedians Alice Lowe and Steve Oram mit der Entwicklung der beiden Charaktere, und ihre nicht unsympathischen Soziopathen sind die große Stärke von »Sightseers«. Ihre selbstgerechte Spießigkeit, ihre Wünsche und Macken wirken äußerst lebensnah, und trotz der Monstrosität ihrer Liebesbeweise bleibt ihre Liebe glaubwürdig. So sind sie durchaus Verwandte von »Bonnie und Clyde«, von den »Natural Born Killers« und von Kit und Holly aus »Badlands«.

Wie schade, dass »Sightseers« trotz dieser starken Figuren und einer stilsicheren Gestaltung nach etwa der Hälfte der Reise die Luft ausgeht. Die Charaktere scheinen dann auserzählt, die nächsten Bluttaten vorhersehbar, der nächste Twist allzu kalkuliert. Und es entsteht der Eindruck, dass dieses ganze Roadmovie doch hauptsächlich von einer einzigen, originellen Grundidee zehrt, die einfach nicht ausreicht, um eine Reise durch doch sehr weite Landschaften zu verproviantieren. Die Kombination von Humor und Horror bleibt zwar amüsant, doch irgendwann beginnt man sich zu fragen, ob ein weiterer eingeschlagener Schädel wirklich noch zum Lachen ist.

Viel eindrucksvoller sind Momente, in denen der Film sich ins völlig Absurde wagt – oder aber die Satire betont: etwa wenn Chris und Tina auf ein anderes Camper-Pärchen mit Luxuswohnwagen treffen. Schon im beiläufigen Detail, wie konträr die beiden Paare »Nippes« definieren, tun sich da die Abgründe des Klassenunterschieds auf. Szenen von solcher Schärfentiefe besitzt der Film leider wenige.

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