Kritik zu The Sessions – Wenn Worte berühren
Ben Lewin, ein Veteran der australisch-britischen Fernseh- und Filmproduktion, hat die wahre Geschichte eines Poliokranken verfilmt, der auf der Suche nach körperlicher Liebe bei einer »Sexsurrogatin« landet
Im Grunde handelt ja jede Liebeskomödie mehr oder weniger davon, dass Menschen endlich Sex haben möchten. In Ben Lewins The Sessions – Wenn Worte berühren ist es der Journalist und Poet Mark O’Brien, der es sich eines Tages in den Kopf setzt, nicht als Jungfrau zu sterben. Wo aber andere »Boy meets Girl«-Drehbücher verhältnismäßig leichtes Spiel haben, bedeutet das »Sex Haben « für Brian ein Unterfangen against all odds, gegen alle Wahrscheinlichkeit und gegen die gesellschaftliche Norm. Denn Brian liegt seit einer Polioerkrankung in der Kindheit wegen allgemeiner Muskelschwäche die meiste Zeit des Tages in einer eisernen Lunge. Er ist vollständig auf Pfleger angewiesen und muss auf einer Liege herumgeschoben werden, wenn er den Ort wechseln möchte. Der Gedanke an Sex »verbietet« sich da geradezu, wie man im Deutschen so unschön sagt.
Was das Liegen in einer eisernen Lunge bedeutet, macht The Sessions in einer frühen Szene klar: da springt in den frühen Morgenstunden eine Katze an Marks aus dem monströsen Apparat herausragenden Kopf vorbei und hinterlässt ihn mit einem üblen Juckreiz an der Nase. Um sich endlich kratzen zu können, muss Mark aber die Ankunft der Pflegerin abwarten. Die humorvolle Resignation, mit der sich der von John Hawkes verkörperte Mark in die quälenden Stunden des Wartens mit Juckreiz fügt, gibt auch schon einen Hinweis auf seine durch Selbstironie gestärkte Persönlichkeit. Überhaupt kann man nicht anders, als ihn bald zu bewundern: Trotz seiner körperlichen Hilflosigkeit hat Mark sein Leben bestens im Griff. Seine Gedichte und Artikel schreibt er per Mundstück und Schreibmaschine (der Film spielt in den 80er Jahren). Streng katholisch erzogen, ist sein engster Vertrauter der Priester seiner Gemeinde, den er zur Beichte regelmäßig aufsucht. Als der Priester, mit wunderbar mitfühlendem Sarkasmus von Knautschgesicht William H. Macy dargestellt, ihn dazu ermutigt, die grobschlächtige Pflegerin zu entlassen, die ihn morgendlich mit sichtlicher körperlichen Verachtung wäscht, kommt ein Prozess des Begehrens in Gang. Die junge Freiwillige, die Mark daraufhin engagiert, entwickelt bei der Arbeit mit ihm so viel herzlichen Enthusiasmus, dass Brian gar nicht anders kann, als sich zu verlieben. Doch bald muss er erleben, dass die junge Frau zwar beteuert, ihn zu lieben, aber eben nicht verliebt ist in ihn. Mark versteht den Unterschied schmerzlich genau. »Willkommen in der Welt der Menschenliebe«, bemerkt der Priester trocken, als Mark ihm davon erzählt. Und dann kommt die Beichte einer noch nicht begangenen Sünde: Mark verlangt Absolution für den Wunsch, Sex zu haben. Er verweist auf seine niedrige Lebenserwartung und das Angebot einer sogenannten Sexsurrogatin, einer Therapeutin, die in wenigen Sitzungen Behinderten am konkreten fleischlichen Beispiel zeigt, wie’s geht. Der Priester macht es sich mit der Zustimmung nicht leicht. Was unterscheidet die Sexsurrogatin von einer Prostituierten?
Seit seiner Premiere auf dem Sundance Filmfestival wurde The Sessions mit einem Publikumspreis nach dem anderen ausgezeichnet – es ist ein Film, der die Zuschauer hochgradig emotionalisiert. Und das nur zum Teil, weil er auf einem wahren Schicksal beruht. Was The Sessions vor anderen Publikumserfolgsfilmen auszeichnet, ist seine feine Verquickung von Rührung und Humor. Man lacht und weint und das oft gleichzeitig. Das aber ist vor allem das Resultat eines glänzenden Drehbuchs (aus der Feder des Regisseurs Ben Lewin), das Brian und seinen Beichtvater sich gegenseitig in trockenen Pointen nur so überbieten lässt. Beide Darsteller, John Hawkes und William H. Macy, beweisen dabei einmal mehr, welch filigranes Handwerk die Filmschauspielerei sein kann. Wobei besonders Hawkes’ Auftritt zu Herzen geht, gerade weil er die Melodramatik seiner Situation unterspielt, ohne ins Gegenteil, die übermäßig heldenhafte Tapferkeit, zu verfallen.
Die große emotionale Wirkung, die The Sessions hinterlässt, hängt natürlich auch damit zusammen, dass hier so viel auf dem Spiel steht, schließlich geht es um Sex. Denn bei allem flapsigen Humor führt der Film vor Augen, welch existenzielle Bedeutung der nackte Körper und die Freude an ihm haben. »Du solltest es genießen«, sagt an einer Stelle der Priester, und nie erschien der Rat eines Kirchenmanns weiser.
Kommentare
Kritik zu The Sessions
Die Kritik hat einen großen Mangel. Die Schauspielerin der Sex-Therapeutin, Helen Haunt wird nicht erwähnt. SIE lässt diesen Film gelingen. Mit Sinnlichkeit & Menschlichkeit, nicht mit Theologie.
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