Kritik zu Schlamassel
Im neuen Film von Sylke Enders setzt sich in der brandenburgischen Provinz des Jahres 1997 eine Nachwuchsjournalistin mit dem Schicksal einer ehemaligen KZ-Aufseherin auseinander
Das Schlamassel in Sylke Enders' Film ist, dass viel gebrüllt und gemeckert wird, ohne dass wirklich etwas gesagt würde. In der Familie von Johanna (Mareike Beykirch) wird alles vom Tod ihrer Oma überschattet. Zerwürfnisse treten zutage, man streitet sich um die Erbschaft der Verstorbenen. Auf der Beerdigung gleich zu Filmbeginn stellt Johanna ihren gierigen Onkel zur Rede, kurz darauf dringt sie in die alten Wohnräume der Oma ein und klaut ein Luftgewehr.
»Schlamassel« ist ein Film über Familien im kommunikativen Ausnahmezustand und darüber, dass Traumata ohne Kommunikation nicht aufgearbeitet werden können. Letzteres manifestiert sich in der Familie der 80-jährigen Annelise Deckert (Lore Stefanek), an die Fotografin Johanna, die als Praktikantin in der Lokalredaktion einer brandenburgischen Zeitung arbeitet, per Zufall durch ein Foto gerät. Annelise Deckert war KZ-Aufseherin und weckt mit ihrer Vergangenheit das Interesse der Nachwuchsjournalistin – sehr zum Unmut eines Teils ihrer Kinder. »Unsere Mutter hat niemandem was getan. Da gibt es nichts zu erzählen«, ärgert sich eine Tochter.
In Filmen wie ihrem Debüt »Kroko«, »Mondkalb« oder »Schönefeld Boulevard« hat die in Brandenburg geborene Regisseurin vom Aufwachsen im Osten und einem bis heute nicht recht vereinten Deutschland erzählt. Auch in »Schlamassel«, der sieben Jahre nach der Wiedervereinigung in der brandenburgischen Provinz spielt, werden diese Themen berührt. Im Radio hört man vom Klonschaf Dolly und den Castor-Transporten; in der Dorfkneipe haben glatzköpfige Schlägernazis das Sagen.
Im Kern erzählt »Schlamassel« davon, wie die Praktikantin, die auch mal Werbefotos von Models in Bikinis für den lokalen Autoverkäufer macht, in der Täterinnenfamilie das sucht und zu finden scheint, was ihr zu Hause fehlt: eine Mutter, die zu sprechen bereit ist, um Probleme und Traumata zu verarbeiten. Annelise erzählt frei heraus, wie die Russen sie verhört haben, wie sie Wert auf gepflegte Hände gelegt habe, weil Himmler die Hände anschaue. Sie erzählt von SS-Männern und von ihrer Zeit in Ravensbrück. »Wir als Wachpersonal haben oft Hunger gehabt. Die Häftlinge hatten genug zu essen.«
Was auf dem Papier wie eine produktive Spiegelung zwischen Generationen und Systemen wirkt, geht leider in der Umsetzung nicht wirklich auf. »Schlamassel« will auf Authentizität bauen. Genau die kommt dem Film jedoch wegen wenig authentisch wirkender Dialoge und Figuren nach und nach abhanden. Auch neigt Enders zur Überdeutlichkeit: Johanna muss immer wieder verkniffen schauen, um ihre Skepsis zu verdeutlichen, und es wird zu viel ausgesprochen, anstatt Bilder dafür zu finden. »Ich bin gerade im Umbau«, sagt Johanna einmal, und man wird trotz des interessanten Filmthemas das Gefühl nicht los, dass sich auch »Schlamassel« noch in der Bauphase befindet.
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