Kritik zu Schilf
Claudia Lehmanns nach dem Roman von Juli Zeh entstandener Film übersetzt wissenschaftliche Theorie in eine komplexe Beziehungsgeschichte, einen meta-physikalischen Psychothriller
Schilf beruht auf einer einfachen These: Alles, was denkbar ist, existiert. Lehmann, geboren 1975 in Langenhagen, hat das Fach Physik studiert und 2004 in Theoretische Elementarteilchenphysik promoviert. Danach wandte sie sich dem Film zu, ihr Werk Memoryeffekt lief 2007 im Programm der Berlinale. Als Kronzeugen für ihre These hat Lehmann unter anderem den Astrophysiker Stephen Hawking aufgerufen: »Es ist physikalisch durchaus möglich, dass ich mich irgendwann einmal in einem Paralleluniversum mit Albert Einstein unterhalte und dabei Marilyn Monroe auf dem Schoß sitzen habe. Das wird ein Fest!«
Sebastian (Mark Waschke), Lehmanns Hauptfigur in Schilf, ist Astrophysiker an der Universität Jena, forscht über (und glaubt an) die Existenz von Paralleluniversen. Das, sagt er, sei »mathematisch vollkommen herleitbar «. Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass Zeitreisen möglich sind. Und, nun wird es etwas komplizierter, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Dinge gleichzeitig möglich und nicht möglich sind.
Claudia Lehmanns Film übersetzt wissenschaftliche Theorie in einen meta-physikalischen Psychothriller: Sebastian droht der Welt und seiner Familie geistig abhandenzukommen, als sein Sohn Nick spurlos verschwindet. Offenbar ist er Opfer einer Entführung. Ein Satz eines anonymen Anrufers, der klingt wie »Dublin muss weg«, versetzt Sebastian in Panik und Bewegung. Was folgt, ist ein Mord (oder auch nicht), und ein rätselhafter alter Mann namens Schilf tritt auf.
Schnell schält sich heraus, dass der von Manuel Macks Kamera aufgenommenen Welt nicht zu trauen ist, immer wieder scheint Sebastian aus einem Traum zu erwachen. Mark Waschke porträtiert den Physiker als Besessenen zwischen Genie und Wahnsinn. Die Begegnung mit dem bärtigen Schilf führt ihn schlussendlich auf die Fährte der Wahrheit, wenn so etwas denn überhaupt existiert.
Bei aller intellektuellen Raffinesse und physiktheoretischen Spitzfindigkeit ächzt der Film unter einer Art gehobener Naivität. Das Gedankenspiel hat infantile Züge, die sich vor allem in der Figur des Schilf ausdrücken. An der Nase des Stipe sollst du den Erceg erkennen. Stipe Erceg ist zwar in der Maske gewesen und auf Typ alter Wolf geschminkt worden, aber sein Erscheinungsbild ist so markant, dass er auch als scheinbar um Jahrzehnte gealterter Oskar problemlos erkennbar ist: Hallo, Zeitreisender. Selbst die Kulisse des realen CERN in Genf, wo Lehmanns Team hat drehen dürfen, leiht dem Film nicht die Ernsthaftigkeit, um die er sich in Diskussionen über Verantwortung und Schuld bemüht. Das schwer zu Vermittelnde oder schlichtweg Unglaubliche erscheint in Schilf merkwürdig betulich, aufgesetzt und vorhersehbar.
Bleibt das private Drama des entfesselten Physikers. Mark Waschke und Bernadette Heerwagen spielen die Szenen einer Entfremdung als Psychokleinkrieg aus: nuanciert und intensiv. Claudia Lehmanns Film will viele Welten gleichzeitig erkunden, hier, im Alltag zweier Menschen, ist er am überzeugendsten.
Kommentare
Schilf
Der Film ist eine einzige Katastrophe, weil es die Macher offenbar darauf angelegt haben, die Dialoge möglichst unverständlich zu halten. Da wird genuschelt, was das Zeug hält; Nebengeräusche - z. B. auf dem Bahnhof - werden überhöht, dass man nur nichts von den Dialogen versteht. Früher gabs mal Toningenieure, die dafür sorgten, dass Sprache verständlich ist. Heute gehts wohl nur noch darum, Authentizität durch akustischen Terror vorzugaukeln.
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