Kritik zu Sag du es mir
Viel narratives Glatteis: In seinem Abschlussfilm setzt Regisseur Michael Fetter Nathansky ein Geschehen aus drei unterschiedlichen Perspektiven zusammen – die viel übereinander erzählen
»Alles ist eine Frage der Perspektive«, lautet eine altbekannte Standardphrase von argumentationsmüden Diskutanten. Heute aber geht es um viel Substanzielleres als »nur« um Perspektiven: Es geht um das große Ganze, um die Wahrheit überhaupt. Wenn in Berlin Verschwörungstheoretiker mit Aluhüten gegen die »Merkel-Diktatur« demonstrieren und sich einen für seinen Freiheitssinn bekannten Wladimir Putin an die Macht wünschen, weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Tausende »Wahrheiten«, gegossen in Millionen Geschichten, heute ist für jeden etwas dabei.
Zu sagen, dass Michael Fetter Nathansky sich mit »Sag du es mir«, seinem Abschlussfilm an der Filmuniversität Babelsberg, dem Ausverkauf der Wahrheit entgegenstellt, wäre zu viel des Guten. Aber er nimmt sich des Themas mit einem klugen kleinen Lehrstück unzuverlässigen Erzählens an: drei Episoden, drei Menschen, drei Perspektiven, die am Ende so etwas wie ein zusammenhängendes Bild ergeben. Davor viel narratives Glatteis.
Den Aufhänger der Geschichte fängt die Kamera von Leander Ott gleich zu Beginn in einer Panoramaaufnahme ein, als wolle man uns sagen: Schaut genau hin! Im Hintergrund Plattenbautürme, ein großes Gewässer, Bäume am Ufer und an den beiden Enden der Eisenbahnbrücke, auf der sich schließlich das Unglück in Ameisengröße ereignet. Da wird jemand von der Brücke ins Wasser geschubst, der Täter flieht.
Blende auf für Moni (Christina Große), der Namenspatin der ersten Episode dieser Trias. Sie ist von Mallorca nach Potsdam gekommen, um ihrer Schwester Silke »Sillo!« (Gisa Flake), der Geschubsten, leicht Verletzten, nicht nur beizustehen, sondern gleich selbst die Ermittlungen zu übernehmen. »Wat weiß die Polizei schon?!« Heimlich allerdings, da Silke die Ambitionen ihrer wuseligen Schwester nicht gutheißt. Mehr durch Zufall als durch gesunden Menschenverstand gerät sie an René (Marc Ben Puch), den Täter aus der Platte gegenüber, aus dessen Perspektive die zweite Episode erzählt wird, bevor sich die dritte Silkes widmet.
Vielmehr darf eigentlich nicht verraten werden. Nathansky treibt ein geschicktes Spiel mit der Wahrheit, lässt narrative Leerstellen, die später erst aufgefüllt werden und nach und nach das große Ganze bilden. Wie bei vielen Episodenfilmen sind die Mechaniken der Erzählung zu spüren, spielt die Konstruktion eine wesentliche, manchmal auch zu große Rolle. Aber es ist ein unterhaltsames und zuweilen tiefgründiges Spiel, das Nathansky da mit seinem herrlich bodenständigen, berlinernden Hauptdarstellertrio treibt.
»Sag du es mir« legt auch auf Genre-Ebene falsche Fährten. Was mit dem kleinen Attentat auf der Brücke als Mittelstandskrimi beginnt, entpuppt sich peu á peu als eine mit Humor und leiser Melancholie angereicherte Reflexion über das Geschichtenerzählen, über Familie, Freundschaft und Identität. Sie alle haben ihre Koffer zu tragen, Moni, Silke und René, manche schwerere als andere. Erst die verschiedenen Perspektiven, die am Ende eine Ahnung von Objektivität vermitteln, bringen die Wahrheit ans Licht.
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