Kritik zu The Pervert's Guide to Cinema
Das Kino ist eine perverse Kunst. Die Zuschauer sind alle Voyeure. Und Slavoj Žižek erklärt uns, warum
Der slowenische Philosoph tritt hier selbst als Hauptdarsteller vor die Kamera der englischen Filmemacherin Sophie Fiennes, Schwester von Ralph und Joseph. Ihr »Pervert's Guide to Cinema« ist eine Mischung aus dokumentarischem Essay und unterhaltsamem Theorie-Kabarett. Žižek spult seine Hauptthesen zum Kino nicht einfach als atemloser akademischer talking head ab, sondern schlüpft buchstäblich in die jeweils kommentierte Filmszene hinein: So sitzt er in dem Motorboot, mit dem Tippi Hedren in »The Birds« die Bodega Bay überquert, oder auf jener Toilettenschüssel, die Gene Hackman in »The Conversation« so beunruhigt. Žižek deutet die Filme sozusagen »von innen«. Das ist nicht nur ein illustrativer Gag, sondern eine formale Spiegelung seiner Freud-Lacan'schen Grundthese, wonach die psychische Realität strukturiert ist wie die filmische Fiktion. In einer für ihn typisch hegelianischen Verdrehung heißt es: Nicht die »Matrix« (aus dem gleichnamigen Wachowski-Film) braucht unsere Energie; unsere Energie, sprich: die Libido, braucht eine Matrix. Die Maschinerie der Fiktion, so demonstriert er, gibt dem Zuschauer nicht das, was er begehrt. Kino erfüllt keine Wünsche, sondern zeigt lediglich, nach welchen Regeln begehrt wird. Und wie wir einen »Sicherheitsabstand« zum begehrten Objekt einhalten.
Dieser Abstand kann kollabieren, wofür Hitchcocks »Vertigo« das Paradebeispiel ist, in dem der Held Scottie eine Frau so lange seinem Idealbild anverwandelt, bis dieses Bild als solches zusammenbricht. Mit verblüffenden Filmbeispielen demonstriert Žižek, dass mit diesem Zusammenbruch der Fiktion nicht etwa die »Realität« zum Vorschein kommt, sondern eine traumatische Begegnung. Die überflutende Kloschüssel aus »The Conversation« wird so im Sinne der Wiederkehr des Verdrängten zu einer instruktiven Metapher für die Kinoleinwand.
Im Gegensatz zu den Männern, die immer etwas weinerlich sind, wenn »es« nicht klappt, haben Frauen nach Žižek eine »narrative Distanz « zur Libido. Eine Szene aus Bergmans »Persona«, in der Bibi Andersson Liv Ullman ein erotisches Erlebnis schildert, dient als Beleg für die These, Frauen würden »es« eher machen, »um hinterher darüber reden zu können «. Man kann Žižek in »Pervert's Guide« ebenso wie in seinen Büchern vorwerfen, er würde die Filme nur szenenweise heranziehen, um seine jeweilige These zu belegen. Zusammenhängende narrative Strukturen analysiert er kaum. Indem er komplexe Fachbegriffe alltagssprachlich verwendet, gelingt ihm einerseits eine schillernde Popularisierung; andererseits riskiert er es, dass nicht wenige Zuschauer ihn wahrscheinlich für einen skurrilen Dummschwätzer halten. Auch der Filmkanon, in dem Hitchcock, Lynch und Fincher dominieren, erscheint trotz faszinierender Ausflüge in die Kinogeschichte etwas begrenzt. Kein Almodóvar, kein Cronenberg. Doch über die Distanz von drei fünfzigminütigen Blöcken überzeugen viele Ausführungen durch überraschende Quer- und Rückverweise. Wer die Beispielfilme halbwegs präsent und schon mal die Nase in ein Buch von Žižek gesteckt hat – und Lacan nicht mit einem französischen Suppenhersteller verwechselt –, für den ist die kondensierte Darstellung ein Gewinn.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns