Kritik zu Pazar – Der Markt
Als man vom Handy-Geschäft noch träumen konnte: Ben Hopkins (»37 Uses for a dead sheep«) erzählt in seinem neuen Film eine bittersüße Geschichte über einen einfachen Geschäftsmann in der Osttürkei im Jahr 1994
In der Welt des Handels gibt es zwei Gewissheiten: Alles hängt miteinander zusammen. Und alles hat seinen Preis. Der in Hongkong geborene britische Regisseur Ben Hopkins, der zuletzt mit dem Dokumentarfilm »37 Uses for a Dead Sheep« auf sich aufmerksam machte, übersetzt diese beiden Grundsätze in eine Tragikomödie. »Pazar – Der Markt«, sein neuer Film, heißt im Untertitel »Eine Geschichte des Handels«. Im Korsett der dort geltenden Grundsätze steckt Familienvater Mihram 1994 in der Osttürkei. Er versucht, sein Glück zu machen, indem er das beschafft, was den Leuten fehlt: Mikroskope für die Kinder, Werkstoffe zur Handy-Produktion, Kabel zur Telekommunikation. Angetrieben von einer unduldsamen, aber gottesfürchtigen Frau, träumt Mihram vom unbeschwerten Leben im Wohlstand, agiert aber zumeist glücklos. Dass alles miteinander zusammenhängt, muss er gleich in der Eingangsszene erfahren, wenn er einem Fabrikbesitzer das Telefonkabel verkaufen will, das demselben gestohlen wurde. Der Handel ist im überschaubaren Grenzgebiet zwischen der Türkei und Aserbaidschan ein System, in dem jeder Überfluss einen Mangel produziert: Wenn hier etwas vorhanden ist, heißt das in erster Linie, dass es woanders fehlt.
Mihram hat sein Glück ein paar Mal zu oft im Spiel probiert und seinen Kummer ein paar Mal zu häufig in Alkohol ertränkt. Er ist in der hart umkämpften Freiheit des Markts das, was zu früheren Zeiten der kleine Angestellte war: der ewig gebeutelte Verlierer, der sich stets vergeblich nach seinen Träumen streckt. Ihm fehlt die Skrupellosigkeit eines lokalen Tycoons wie Mustafa, der die Gesetze des Marktes zu seinen Gunsten auszulegen weiß, statt ihnen zu unterliegen.
Neue Hoffnung macht Mihram das aufkeimende Handy-Geschäft, für das er sich eine Lizenz besorgt. Zur gleichen Zeit bittet ihn eine Ärztin, einen dringend benötigten Impfstoff aus Aserbaidschan zu besorgen. Und in der Verbindung der beiden Avancen scheint der Ausweg aus Mihrams Unzufriedenheit zu liegen: Am Ende könnte aus ihm nicht nur ein guter Mensch werden, der Kindern zu Medikamenten verhilft, sondern auch ein reicher Mensch, der dank geschickten Dealens sein Handy-Geschäft begründet.
Naturgemäß kommt alles anders. Aber die Enttäuschung fällt weich aus in »Pazar«, weil Hopkins an Mihrams Bemühungen die komische Seite von Beginn an hervorhebt. Für den Humor ist vor allem Mihrams Onkel zuständig, den Genco Erkal als Mischung aus altem Hasenfuß und Cleverle spielt. Tayanc Ayaydin, dem Darsteller Mihrams (in Locarno dafür ausgezeichnet), gehören dagegen eher die dramatischen Momente, etwa wenn er vor einer verwaisten Krankenhausapotheke die Wahl hat, das benötigte Mittel umsonst zu besorgen. Alles hat seinen Preis, und notfalls kostet es die Moral. In solchen Momenten tritt der existenzielle Konflikt, der in »Pazar« verhandelt wird, am deutlichsten hervor. Hopkins braucht allerdings relativ lange, um ihn zu exponieren. Dafür ist der Film durchweg schön fotografiert, mit viel Sinn für die blassen Rot- und Grüntöne der kargen, ausgewaschenen Gegend, in der Mihram nach seinem Glück sucht.
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