Kritik zu Oscar Niemeyer – Das Leben ist ein Hauch
Vor zwei Jahren ist er 100 geworden – Anlass für diesen klassisch gehaltenen Porträtfilm über den weltberühmten brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer
Sich selbst hat er 1952 ein luftiges Traumhaus ins wuchernde Grün gebaut, hoch über der Bucht von Rio geht der Blick aus dem Panoramafenster auf die Copacabana und die sanftrunden Buckelberge im Meer. Eine Landschaft, von der der Schriftsteller Eduardo Galeano in diesem Film sagt, sie sei »geschaffen worden an dem Tag, als Gott dachte, er sei Oscar Niemeyer«. Zu solch höheren Weihen bringen es nicht viele. Doch Niemeyer, der diesen Dezember 102 Jahre alt geworden ist, ist nicht nur der letzte Überlebende der großen modernen Architekten des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein Künstler, dessen Formensprache unseren Blick auf die Welt verändert hat. In Brasilien ist er auch eine – durchaus umstrittene – Legende nationalen Selbstverständnisses.
Zehn Jahre haben Autor und Regisseur Fabiano Maciel und Produzent Sacha an diesem Dokumentarfilm gearbeitet, der zu Niemeyers 100. Geburtstag in Brasilien auf die Leinwand kam. Es ist ein klassischer Porträtfilm mit vielen Gesprächen, Archivmaterialien und Ortsbesichtigungen von Niemeyer-Bauten aus den Jahren 1937 bis 2002, lehrreich animierten Zeichnungen und griffigen Musiksentenzen von João Donato. Im Zentrum steht ein Gespräch mit Niemeyer selbst, in dem der alte Herr Auskunft gibt über seine künstlerischen Positionen und eine Laufbahn, die in den dreißiger Jahren als Schüler von Lúcio Costa begann. Der größte Schritt war wohl die Emanzipation von seinem Vorbild Le Corbusier und die Entdeckung der »freien, sinnlichen Kurve« als »natürliche Form des Betons«: zur Vorlage immer die Natur, sei es in landschaftlicher oder menschlich-weiblicher Form.
In seinem Architekturbegriff bleibt Niemeyer bei Corbusier: Baukunst soll Erfindung sein, die mit Schönheit überrascht. Funktion und Fantasie sind ihm kein Gegensatz, auch wenn er deutlich sieht, dass die Architektur soziale Konflikte nicht lösen kann, höchstens auch Armen einen Augenblick der Schönheit schenken. Er ist Kommunist, befreundet mit Fidel Castro. Brasília, das größte Projekt seines Lebens, versprach auch sozial ein utopisches Moment: Während der Baujahre an der neuen Hauptstadt lebten Staatsbeamte, Architekten und Bauarbeiter miteinander am gleichen Ort. Doch die Hoffnung zerschlug sich nach Fertigstellung schnell, als die Handlanger in die Slums am Stadtrand verdrängt wurden. Hoffnung auf Weltveränderung hat er trotzdem noch, dieser lebenshungrige Pessimist mit dem scharfen Blick für die Nichtigkeit des Menschen vor dem Universum: »Das Wichtigste sind die Frauen, der Rest ist ein Witz.«
Kritische Positionen darf man von einem Geburtstagsfilm nicht erwarten, der mit Beteiligung der Fundação Oscar Niemeyer entstanden ist. Man vermisst sie auch nicht wirklich, auch wenn die wechselhaften Beziehungen des Architekten zur politischen Macht Außenstehenden unklar bleiben. So ist der vielleicht einzige echte Makel des Films, dass die Besuche bei Niemeyers Schöpfungen in aller Welt doch sehr kursorisch ausfallen. Kaum hat man angefangen, richtig hinzuschauen, ist es auch schon vorbei. Aber das ist wohl brasilianisches Zeitgefühl.
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