Kritik zu The One Man Village

© mec film

2008
Original-Titel: 
The One Man Village
Filmstart in Deutschland: 
10.09.2009
L: 
86 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Ohne aufgeregt Position zu beziehen, erzählt diese Dokumentation von den heute noch spürbaren Folgen des Bürgerkriegs im Libanon am Beispiel eines Bauern, der als Einziger in sein Dorf zurückgekehrt ist

Bewertung: 4
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Die Erinnerung an den Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 ist im Libanon allgegenwärtig, wenn auch nicht auf den ersten Blick sichtbar. Semaan El Habre, der lakonisch durch den Kuhstall und die eigenen vier Wände schreitende Landwirt, lebt heute in einem Geisterdorf. Der Onkel des Filmemachers Simon El Habre kehrte vor Jahren in seinen Heimatort Ain el-Halazoun zurück, der in den Bergen östlich von Beirut liegt. Er wurde 1982 von der Bevölkerung verlassen, als es in diesem Gebiet zu Kämpfen zwischen christlichen und drusischen Milizen kam. Später wurde das Dorf zerstört. Semaan lebt allein in dem wieder errichteten Haus seiner Familie, zwischen den Ruinen anderer Gebäude, die sporadisch von ihren früheren Bewohnern aufgesucht werden. Sie bestellen ihr Land, sehen nach ihren Häusern oder dem, was von ihnen übrig blieb; sie pflanzen und ernten, doch zurückkehren will keiner. Stoischen Blickes erzählen sie von dem Verlust ihres Heims, kommentieren zurückhaltend die damaligen Verhältnisse (»Unsere Nachbarn haben gut aufgepasst«) und erwarten wenig Gutes (»Gott bewahre uns vor der Zukunft«).

Bereits in den ersten lebensnahen Einstellungen findet der Film zu seinem kontemplativen Rhythmus, den weniger geduldige Zeitgenossen als zu bedächtig empfinden mögen. Er definiert aber gerade die diskrete Vertrautheit, aus der diese Dokumentation ihre Stärke zieht. Die digitale HD-Kamera folgt Semaan minutenlang bei seiner morgendlichen Routine, die aus Alltäglichem wie Aufstehen, Kaffeekochen, Waschen, Melken und Holzsägen besteht. Sie nähert sich ihm aus respektvoller Distanz und ist anfangs außerhalb des Hauses positioniert. Noch bevor es hell ist, transportiert Semaan die Milch mit dem Auto in den Nachbarort. Die Kamera bleibt im Dorf, und dort verharrt sie bis zum Schluss.

Von Beginn an war klar, dass es darum ging, Semaans Alltag einzufangen, um die Frage, wie man Krieg ins Leben integrieren kann«, so Irit Neidhardt. Die Berlinerin produzierte den Film zusammen mit dem Regisseur Simon El Habre, der auch das Drehbuch schrieb, und mit Jad Abi Khalil. Dem Trio stand ein Budget von je 15.000 Euro – von der Filmkooperative Beirut DC – und 15.000 Dollar aus einem auf dem Koproduktionsmarkt in Dubai gewonnenen Preis zur Verfügung.

In den Gesprächen mit seinem Onkel blättert der 1975 im Libanon geborene Regisseur ohne Hast durch das Familienalbum. Er spricht mit ihm über persönliche Verluste und den Umgang mit der Erinnerung daran, erfährt Details über den Tod seiner Großeltern, die ihm sein Onkel zögerlich anvertraut. Jede Aufgeregtheit ist diesem Film fremd. Dank der Bodenständigkeit seines Protagonisten geht ihm aber auch jedes Pathos ab; Anflüge von Melancholie werden gebrochen durch Ironie – im Stall wird zärtlich über die Kühe, die knietief in der Scheiße stehen, gesprochen. Die Frage seines Neffen nach seinem Liebesleben umschifft der Onkel elegant. Seine zukünftige Ehefrau, die er im Krieg aus den Augen verlor, habe wie die Sängerin Mireille Mathieu ausgesehen. Heute könne er sich für Shakira begeistern, aber diese würde mit ihrer Hopserei vermutlich seine Tiere erschrecken.

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