Kritik zu Nachlass
Nach dem Krieg wollten sie nicht darüber sprechen. Aber sie haben Spuren hinterlassen. Der Dokumentarfilm von Christoph Hübner und Gabriele Voss beleuchtet, welche Last das Erbe der NS-Verbrecher für ihre Nachkommen ist
Jeder Mensch hinterlässt Spuren. Wenn nicht in der »großen« Geschichte, dann doch in der Familie, bei seinen Kindern, bei seinen Enkeln, bei seinen Freunden. Auch wenn vielleicht nicht viel von ihm bleibt. Christoph Hübner und Gabriele Voss haben in ihrem Dokumentarfilm ein Symbol dafür gefunden: einen schwarzen, ledernen Aktenkoffer. Darin befinden sich Prozessunterlagen aus dem Safe oder dem Schreibtisch des Vaters aus den frühen sechziger Jahren, als der Vater als Kompaniechef einer SS-Einsatzgruppe vor Gericht stand. Der Sohn, der wusste, dass der Vater schon früh in die NSDAP eingetreten war, ist vor der Kamera immer noch konsterniert über das Ausmaß des Schreckens, den sein Vater angerichtet hat.
Hübner und Voss haben sich mit fünf Nachkommen von NS-Tätern und zwei von Holocaust-Überlebenden unterhalten – in klug geführten und ruhigen Interviews, unterbrochen von Aufnahmen des Umbaus der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, der »Topographie des Terrors« in Berlin und des Anfertigens von Stolpersteinen, der offiziellen Erinnerungskultur. Man mag heutzutage die sprechenden Köpfe im Dokumentarfilm nicht, aber für diesen Film wäre kein anderes Prinzip vorstellbar. Die bekannten zeitgenössischen Aufnahmen vom Massenmord, so viele gibt es gar nicht, hätten das Anliegen verwässert. Denn es geht ja nicht um die Täter, sondern darum, wie die Nachgeborenen mit ihren Verbrechen umgehen – und welche Last sie auch Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch tragen. Darum werden die sieben Interviewten auch nicht vorgestellt oder namentlich genannt; erst der Nachspann enthüllt ihre Namen.
Der Prozess der Erinnerung verläuft in diesem Film über Fotografien und Dokumente aus Alben oder Büchern. Adi, eine Israelin, die in der Ausstellung »Topographie des Terrors« Führungen macht, zeigt auf ihrem Computer Fotos von ihrem ersten Auschwitz-Besuch, den sie mit deutschen Historikerkollegen unternommen hat. Es muss auch eine große Party gewesen sein, mit jungen Leuten, die in einem Club in Krakau die Hände in die Luft recken. Als sie davon erzählt, wie sie ein zweites Mal Auschwitz besucht, diesmal mit ihrem Großvater, der das Lager überlebte, weint sie.
Die Täter der NS-Zeit waren Leugner, Lügner und Verdränger, und die restaurative Zeit der Fünfziger und frühen Sechziger hat es ihnen leicht gemacht. Die Männer, die aus dem Krieg zurückkamen, wollten nicht reden über das, was sie getan hatten. »Das kannst Du dir nicht vorstellen«, heißt es in einem der Interviews. Es hat in der letzten Zeit einige Filme über diese schweigende Generation gegeben, etwa den wunderbaren TV-Dokumentarfilm »Kulenkampffs Schuhe« von Regine Schilling, der vor ein paar Wochen in der ARD lief. Aber »Nachlass« geht noch einen Schritt weiter: Er erzählt vom Weiterleben der Schuld und macht klar, dass das Gerede von der Gnade der späten Geburt Mumpitz war. »Die Geschichte schreit einen an«, heißt es in einem der Interviews.
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