Kritik zu My Stolen Planet

© Little Dream Pictures

2024
Original-Titel: 
Sayyareye dozdide shodeye man
Filmstart in Deutschland: 
12.09.2024
L: 
82 Min
FSK: 
12

Farahnaz Sharifi hat eigene und fremde Privatfotos gesammelt und zeigt ein Panorama der Feste, Freuden und Geselligkeiten als alltäglichen Widerstand gegen das iranische Regime

Bewertung: 3
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»Wir müssen diese Tage mit Schönheit überstehen«, sagt eine Freundin der Regisseurin Farahnaz Sharifi einmal in diesem Film, der vom Leben unter dem iranischen Regime erzählt. Mit den Tagen meint sie eigentlich Jahre, denn schwer hatten es die Menschen und im Besonderen Frauen, die wir begleiten, schon seit den Revolutionsjahren um 1979.

Die 1979 geborene Sharifi erlebte in ihrer Zeit eine prägende persönliche Spaltung. Da gab es zwei Planeten, auf denen sie abwechselnd lebte. Der eine war ihre Familie, ihr Heim, die Geborgenheit und die Freundschaften, die Feiern und Zärtlichkeiten, dort trugen Frauen Hosen und Westwind wehte noch. Der andere, der öffentliche Planet, war das Draußen, dort mussten Mädchen und Frauen den Hijab tragen, Schulkinder wurden militärisch gedrillt und gegen die USA eingeschworen. In einem genialen Einfall montiert sie alte Ausweisdokumente und Privatfotos von sich selbst und zeigt uns so zwei völlig unterschiedliche Frauen aufwachsen.

Sharifi baut über die Jahre ein Film­archiv auf, es besteht aus fremden Privataufnahmen, die sie in Fotoläden und auf Flohmärkten findet. Was ist es, das die Menschen festhalten? Auf den ersten Blick Banalitäten: Partys und Feste, Hochzeiten, Familienbesuche, Urlaube. Sehr oft tanzen und singen die Leute. Es sind sorglose Zeiten, wie sie seit dem Regimewechsel seltener geworden sind.

Und sie sind die Kehrseite der Bilder aus dem Iran, die ansonsten um die Welt gehen: Die Demonstrationen des Arabischen Frühlings, Frauen, die ihren Hijab verbrennen, Demonstrierende, die von der Polizei getötet werden. Auch diese Bilder sehen wir hier, aber für Sharifi enthalten die privaten Festbilder ebenso eine Wahrheit über das unterdrückte Leben. Die Geschichte und die politischen Zusammenhänge des Iran werden an keiner Stelle ausgerollt, das ist eine Aufgabe für andere.

Die von ihrem Kontext befreiten Filme – wer waren diese Leute? – mit ihren Altersspuren tragen eine Retro-Sehnsucht in sich nach einer Zeit, in der das Private noch weniger politisch schien. Die Filme zeigen uns das, was von diesem Leben bewahrt wurde. Was Menschen absichtlich und beiläufig in disparaten und dezentralen Archiven auf Dachböden, in Kellern, Asservatenkammern, auf USB-Sticks und Festplatten retteten. Sharifi spricht über diese Bilder, von dem Schönen und Gespenstischen an ihnen, und von ihrem eigenen Leben, ihrer demenzkranken Mutter, den Erschütterungen durch die Coronapandemie, den politischen Zumutungen.

Der Regisseurin dienen die Heimfilme als Mittel, die Gegenwart weniger selbstverständlich erscheinen zu lassen. Und als Treibstoff für ihre eigene Filmsucht, denn auch sie hält fest, was sie bewegt. Keinesfalls sucht sie nach einem privaten Glück, das sich mit den Zuständen arrangiert. Vor allem sind es die Treffen mit Freundinnen, die Geselligkeit, das Gegenteil von Einsamkeit, das hier festgehalten und in dem die Keimzelle erkannt wird für die Fähigkeit zum Widerstand.

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