Kritik zu Meine Brüder und Schwestern im Norden
Die aushöhlende Kraft des Bikinis: Sung-hyung Cho (»Full Metal Village«) hat Nordkorea besucht und sich dort mit Menschen unterhalten
Nordkorea. Kaum ein anderes Land der Erde bietet sich gegenwärtig noch als Projektionsfläche für so extreme Spekulationen an wie die selbsterklärte »Demokratische Volksrepublik«. Ist es ein riesiges Gefängnis unter Aufsicht einer wahnsinnigen Elite, dessen Insassen Not, Hunger und Repression erleiden? Ein nukleares Pulverfass? Oder womöglich doch das letzte »unberührte« kommunistische Wunderland? Die Regisseurin Sung-hyung Cho (»Full Metal Village«) ist in Südkorea geboren, lebt und arbeitet in Deutschland und versucht mit ihrem neuen Film »Meine Brüder und Schwestern im Norden«, dem Mysterium Nordkorea direkt vor Ort näherzukommen. Neue Einsichten bietet ihr Film nicht unbedingt, aber schon allein ihre entspannte Herangehensweise ermöglicht eine ungewohnte, bereichernde Perspektive.
Die Regisseurin erklärt bereits in ihrem Anfangsmonolog, sie sei nicht interessiert an den üblichen Inszenierungen, die das Bild Nordkoreas im Westen prägen: bitte keine Militärparaden! Stattdessen führt Sung-hyung Cho ruhige, lange Interviews mit ganz gewöhnlichen Menschen aus verschiedenen Altersklassen und Berufsgruppen. Sie macht aber von Beginn an keinen Hehl daraus, dass die Auswahl ihrer Gesprächspartner nicht nur von ihr, sondern auch von entsprechenden Beauftragten der Volksrepublik kontrolliert wurde. Es ist ein wenig schade, dass »Meine Brüder und Schwestern im Norden« sonst kaum mehr auf seine eigenen Entstehungsumstände eingeht: etwa die organisatorischen Details oder den konkreten Einfluss der Zensoren.
So aber bleibt mehr Platz für die Männer und Frauen, die im Zentrum dieser Dokumentation stehen; etwa einer der Ingenieure eines gigantischen Spaßbads in Pjöngjang, das angeblich vom »großen Führer Kim Jong Un persönlich entworfen« wurde. Die Regisseurin setzt im Interview auf eine Gesprächsstrategie, der sie auch in den folgenden Begegnungen treu bleibt: Sie stellt ehrlich interessierte Fragen nach Arbeitsabläufen und anderen Fakten und schleust zwischendurch immer mal wieder heiklere Themen mit ein. In diesem Fall etwa: »Warum tragen hier alle Frauen Badeanzüge und keine Bikinis?« Die Antwort folgt auf dem Fuß – grob gesagt: Bikinis sind eines der Instrumente des Westens, um die Moralvorstellungen des kommunistischen Landes kulturell auszuhöhlen und zu unterwandern – und überrascht nicht so sehr inhaltlich als durch die trockene, selbstverständliche Art, mit der sie vorgebracht wird.
Auch formell findet die Regisseurin beziehungsweise ihr Kamerateam die richtige Balance. Gekonnt kommentiert das Framing die teils offensichtlich für die ausländische Berichterstattung inszenierten Situationen. Ein besonders großartiges Beispiel ist eine betont fröhliche Ernteszene mit Traktor, die durch einen geschickten Zoom-out plötzlich deutlich weniger imposant wirkt. So wirft der Film einen skeptischen, aber nie zynischen Blick auf das bizarre Biotop Nordkorea, maßt sich niemals an, eine wie auch immer geartete »Wahrheit« ans Licht zu bringen und begegnet dem Eifer und Optimismus seiner Protagonisten mit Respekt.
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