Kritik zu The King of Staten Island
In der legendären Comedy-Show »Saturday Night Live« thematisiert Pete Davidson immer wieder seine Traumata. Nun verarbeitet er sie in Judd Apatows Tragikomödie als Suche nach sich selbst
Scott Carlin (Pete Davidson) ist wohl das, was man einen lost young man nennt. Der 24-jährige Schulabbrecher wohnt noch immer bei seiner Mutter (Marisa Tomei), hängt mit seinen alten Freunden ab, konsumiert zu viele Drogen und weiß mit seinem Leben ansonsten wenig anzufangen. Er leidet an Morbus Crohn, ADHS und Angstzuständen, den frühen Tod seines Vaters hat er nie überwunden, den Schmerz überspielt er durch grobe Scherze, vor anderen und auch vor sich selbst. Er ist ein Verdränger, bloß keine Veränderung, keine Verantwortung. Nur Tätowieren macht ihm Spaß, aber Scott ist ein ziemlich miserabler Zeichner
Kelsey (Bel Powley) kennt er seit Kindertagen, die beiden haben mittlerweile ein zwangloses Sexverhältnis, von dem sie sich mehr verspricht. Doch Scott lebt in den Tag hinein, scheinbar unfähig, Gefühle zu zeigen oder sich zu binden. Als sie enttäuscht Schluss macht, nimmt er es ebenso hin wie den Umzug seiner jüngeren Schwester Claire, die in einer anderen Stadt ihr College beginnt. Erst als seine Mutter ausgerechnet mit dem Feuerwehrmann Ray (Bill Burr) anbandelt, kommt es zum Eklat.
Die Geschichte basiert über weite Strecken auf dem Leben von Hauptdarsteller Pete Davidson. Der inzwischen 26-Jährige wuchs selbst in Staten Island auf, sein Vater Scott, dem der Film gewidmet ist, war Feuerwehrmann in New York und kam am 11. September 2001 bei Rettungsarbeiten während der Terroranschläge ums Leben. Seine Mutter arbeitet bis heute, wie im Film, als Krankenschwester. Der Verlust des Vaters traumatisierte den damals Siebenjährigen, der nach eigenen Angaben in der Schule stark auffällig war, unter schweren Depressionen litt und früh mit Drogen in Kontakt kam. Anders als seine Figur im Film entdeckte er früh sein Talent als Alleinunterhalter, trat bereits mit 16 erstmals als Stand-up-Comedian auf, wenn auch wenig glamourös in einer Bowlinghalle in Staten Island.
Der Film macht aus dem Nachwuchskomiker einen erfolglosen Tattoo-Zeichner, der 9/11-Hintergrund wurde ganz weggelassen. Die Handlung spinnt fort, was aus Davidson hätte werden können, wenn er nicht das Ventil gefunden hätte, als Komiker seine Dämonen nach außen zu kehren und ihnen so ein wenig den Schrecken zu nehmen. Ein großartiger Charakterdarsteller ist er nicht, aber er verkörpert diese semibiografische Version seiner Selbst, als eine Art Mensch gewordener Borderline-Goofy, glaubhaft und sympathisch, auch in Gegenwart von Schauspielgrößen wie Marisa Tomei und Bill Burr.
Schon der Titel ist dabei ein multipler Witz. Staten Island ist der einzige Ort, der einen noch schlechteren Ruf hat als die Vororthölle New Jersey auf der anderen Flussseite, die Müllhalde ist angeblich so gigantisch, dass man sie aus dem Weltall erkennen kann, heißt es an einer Stelle des Films. Eine Heimat, auf die stolz zu sein schwer ist, die aber eben Scotts kleine Welt ist, weil er es nie gewagt hat, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Deren König ist er dabei keineswegs, allenfalls deren Narr, der immerhin ohne Rücksicht auf Verluste sagt und tut, wonach ihm gerade ist.
Wie schwerwiegend seine psychischen Probleme tatsächlich sind, darüber lässt sich allenfalls spekulieren, auch wenn Davidson sehr offen damit umgeht und sie auch in seinen Auftritten thematisiert. Der Film ist nun das deutlichste Produkt dieses Exorzismus innerer Dämonen und der Familientherapie mit den Mitteln der Comedy, dessen Ton Regisseur und Co-Autor Judd Apatow von anfangs recht brachialem Slackerhumor fließend in Mitgefühl wandelt. Eine interessante, wenn auch nicht immer trittfeste Gratwanderung zwischen sarkastischem Witz und rührseligem Friedenschließen mit den Wunden der eigenen Herkunft. Dazu muss man Davidsons Biografie nicht kennen, aber es hilft. Ob diese Methode für sein eigenes Seelenheil funktioniert?
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