Kritik zu Hypnose
Neben »Scandi-Noir« etabliert sich auch die skandinavische Gesellschaftssatire als eigenes Genre: Hier gerät ein Paar bei einem Start-up-Workshop mit Konzepten von Authentizität und Selbstbetrug in Konflikt
Ein Glöckchen klingelt. Dann spricht Vera vor knallrotem Hintergrund direkt in die Kamera. Als 11-Jährige habe sie ihre erste Periode gehabt. Blut floss in Strömen. Sie wusste nicht, dass sie unter einer Krankheit litt, die Blutgerinnung verhinderte. Während sie erzählt, hört man hypnotisiert zu. Wie in Kubricks »The Shining« meint man, den Blutschwall als rote Flut auf sich zuströmen zu sehen.
Das Thema Hypnose, das die Eröffnung programmatisch einführt, ist so alt wie das Kino selbst. Vom »Kabinett des Dr. Caligari« über »Dr. Mabuse« bis hin zu »Oldboy« bildet dieses Motiv beinahe ein Subgenre. In seinem Leinwanddebüt sucht Ernst De Geer einen neuen Zugang zu diesem Stoff.
Dazu weckt der Regisseur den Betrachter erst einmal brutal aus seiner Trance. Nach einem Kameraschwenk wird nämlich klar, dass Veras Erzählung nur die Hinleitung zu einer neuen Geschäftsidee ist. Gemeinsam mit ihrem Liebes- und Businesspartner André hat sie die App »EpiOne« entwickelt. Ihre Zielgruppe: Frauen in Entwicklungsländern sollen das Tabu der Menstruation brechen. Frauengesundheit soll so gefördert werden.
Prätentiöser geht es nicht. Trotzdem hat ihr Start-up einen Platz bei »Shake Up« ergattert, einem dreitägigen Workshop, in dem der charismatische Pitch-Coach Julian den Teilnehmern beibringen will, wie sie ihre Geschäftsidee so präsentieren, dass Investoren anbeißen. Mit den Fallstricken dieses gruppendynamischen Lehrgangs ist der Film bei seinem Thema angelangt.
Und die Hypnose? Kommt über Bande ins Spiel. Um sich das Rauchen abzugewöhnen, sucht Vera eine Therapeutin auf, die ihr in Trance die Begegnung mit ihrem kindlichen Ich ermöglicht. In der Folge verhält sie sich auf berechenbare Weise unberechenbar. Während André sich stromlinienförmig auf das Projekt fixiert, dürstet die entfesselte Frau nach Zärtlichkeit. Sie tanzt wild im Hotelzimmer und provoziert die Gruppenteilnehmer, indem sie – wie man es von Theaterworkshops kennt – mit einem imaginierten Hund spielt.
Der Widerspruch dieser klischeehaften Reproduktion von Geschlechterrollen führt dazu, dass die Frau sich emanzipiert – indem sie ihre eigenen geschäftlichen Interessen sabotiert. Der Film transportiert so die ideologiekritische Skepsis am Geschäftswesen, das Menschen entfremdet. Gegen diese ökonomisch orientierte Zurichtung wehrt sich Vera, indem sie ihre anarchische Fröhlichkeit zulässt. Doch das Thema Authentizität und natürliche Spontaneität wird leider recht eindimensional in Szene gesetzt.
Neben David Fukamachi Regnfors, der als aalglatter Coach seine Momente hat, können Asta Kamma August und Herbert Nordrum das Paar, das sich entfremdet und wiederfindet, nicht wirklich zum Leben erwecken. Vom überschaubaren Spielwitz bis hin zur aufgesetzten Schlusspointe kommt die formal unauffällige schwedisch-norwegisch-französische Satire nicht wirklich in Schwung. Vor allem aber wird das Thema der Hypnose – nach starkem Beginn – nicht überzeugend umgesetzt.
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