Kritik zu Heute oder morgen
Thomas Moritz Helm gewinnt in seinem Langfilmdebüt über einen Sommer in Berlin dem alten Thema der Dreiecksbeziehung eine erfrischend leichte, stimmungsvolle und sexy Note ab
Es kommen einem viele Adjektive in den Sinn, wenn – ganz pauschal – das Schlagwort »deutsches Kino« fällt. Frisch und sexy gehören leider eher weniger dazu. Bislang zumindest, denn Thomas Moritz Helm schickt sich nun an, mit seinem ersten langen Film Heute oder morgen, der auf der Berlinale in der Sektion Perspektive Deutsches Kino Premiere feierte, daran einiges zu ändern.
Es ist Sommer in Berlin, wo Maria (Paula Knüpling aus »Der lange Sommer der Theorie«) und Niels (Maximilian Hildebrandt) eine glückliche und entspannte Beziehung mit vielen Freiräumen führen. Dass sie vorübergehend sogar kostenlos in der komfortablen Dachwohnung von Niels' Onkel wohnen dürfen (Sauna inklusive!), macht die heißen Monate noch angenehmer, zumal sich die beiden Mittzwanziger auch vom Zusammenwohnen nicht einengen lassen. Während er im Coffeeshop arbeitet oder abends französische Filme guckt, zieht sie gerne mit ihren Kiffer- und Sprayerkumpels durch die Straßen oder klaut im Supermarkt das Abendessen.
Dann tritt Chloë (Tala Gouveia) in das Leben der beiden. Zunächst werfen Maria und Niels, denen heteronormative Engstirnigkeit in Sachen Sex reichlich fremd ist, in der U-Bahn beide einen Blick auf die Britin, doch wenig später sind es zunächst die beiden Frauen, die sich näherkommen. Und schließlich ergibt sich fast wie von selbst eine polyamouröse Dreierbeziehung.
Viel Plot ist das nicht, doch der ist auch nicht nötig. Im Katalogtext der Berlinale raunte es dazu noch ominös, die Gesellschaft sei noch nicht vorbereitet auf dieses Trio, und die Protagonisten selbst seien es genauso wenig. Viel verkehrter kann man »Heute oder morgen« eigentlich nicht verstehen. Denn im Gegenteil verzichtet Helm ganz bewusst auf große Konflikte, wo andere aus einer ähnlichen Konstellation ein tragisches Drama machen würden, sei es durch Anfeindungen von außen oder interne Streitigkeiten. Was wiederum nicht bedeutet, dass der Regisseur seine Ménage-à-trois zu einem utopischen Idyll verklären würde: Natürlich gibt es auch hier Eifersüchteleien, sich verschiebende Nähe-Verhältnisse und unterschiedliche Bedürfnisse. Doch Maria, Niels und Chloë sind, wenn schon nicht selbstgewiss, dann doch zumindest offen und frei genug, damit umzugehen.
Dass es Helm gelingt, genau diese ungezwungene Selbstverständlichkeit auf den gesamten Film zu übertragen, ist eine bemerkenswerte Leistung. Das Aufbrechen althergebrachter Moralvorstellungen und Beziehungsmodelle hat hier nichts von konstruierter Provokation an sich, und auch die verkrampfte Künstlichkeit, die gerade im deutschen Kino oft Einzug hält, wenn von jungen Menschen erzählt wird, bleibt in »Heute oder morgen« aus. Stattdessen gibt es: glaubhafte Dialoge, ein authentisches Berlinbild und überzeugende Darsteller, greifbare Schwüle, ein wenig melancholischen Herzschmerz und zeitgemäße Erotik. Ein kleines, leichtfüßiges Sommerwunder also, wundervoll frisch und ehrlich sexy.
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