Kritik zu Gainsbourg
Der französische Comic-Künstler Sfar verfilmt das Leben des berühmt-berüchtigten Chansonniers
Serge Gainsbourg prägte fast 30 Jahre lang, von Anfang der 1960er bis Ende der 1980er Jahre mit seinen Kompositionen und seinen Frauengeschichten die französische Kulturszene. Andere waren kommerziell erfolgreicher als er, aber keiner wurde mehr geliebt und mehr gehasst. Passend zu seiner Titelfigur will »Gainsbourg«, das Regiedebüt des französischen Comic-Auteurs Joann Sfar, sich nicht so recht in die Reihe der üblichen Star-Biopics eingliedern. »Der Mann, der die Frauen liebte« heißt der Film im deutschen Untertitel, und diese Anleihe bei Truffaut trifft es ganz gut, denn Sfar beleiht die spielerische Experimentierfreude der Nouvelle Vague. »Eine Erzählung von Sfar« nennt der Regisseur sein Werk. Entsprechend frei geht er mit den Stationen aus Gainsbourgs »heroischem Leben« (so der französische Untertitel) um.
Oberflächlich folgt die Erzählung den klassischen Stationen: jüdische Kindheit im von Nazis besetzten Frankreich, erste künstlerische Gehversuche als Maler, Entdeckung als Chansonnier durch Boris Vian, Durchbruch, Skandale, gesundheitlicher Niedergang. In der Umsetzung aber macht Sfar daraus eine von Rückblenden, Traumsequenzen und bizarren Comicgestalten geprägte Phantasmagorie, in der sich Fakt und Fiktion zu einem eigenwilligen, sehr persönlichen Porträt des Künstlers Serge Gainsbourg vermischen.
Sfar gibt gar nicht erst vor, eine historisch korrekte Biografie vorzulegen. Bereits mit dem animierten Comicvorspann entführt er den Zuschauer in seine eigene künstlerische Welt. Anstelle einer Nacherzählung versucht er eine Interpretation des Künstlers, der sich immer wieder neu erfand: von dem Maler Lucien Ginsburg verwandelte er sich in den Sänger und Frauenhelden Serge Gainsbourg und schließlich in den kettenrauchenden, alkoholabhängigen und Skandale provozierenden Klischeebohemien »Gainsbarre«, als der er 1991 starb. Sfars Gainsbourg ist mal genialischer, von seiner jüdischen Identität und seiner hässlichen »Fresse« im wahrsten Wortsinn verfolgter und angetriebener Künstler; mal subversiver Rebell; mal ewiges Kind, das aus purer Lust und Egomanie die Grenzen des gesellschaftlich Respektablen überschreitet.
Dabei verzichtet der Regisseur bewusst auf eine Reihe populärer Anekdoten; der Skandal um den Song »Je t'aime« etwa wird gar nicht gezeigt. Auch chronologische Abläufe bleiben unkenntlich, kein einziges Mal werden orientierende Jahreszahlen eingeblendet. Ungeordnet und unübersichtlich wie Gainsbourgs Leben mutet der Film durch diesen Kniff an. Aber so einleuchtend das konzeptionell sein mag, ist es dramaturgisch bisweilen frustrierend.
Wirklich verstehen oder gar durchschauen, auch das zeigt der Film durch seine Machart, wird man Gainsbourg freilich sowieso niemals. Sfar schürt die Legende, den Mythos. Vieles bleibt so skizzenhaft wie manche seiner Illustrationen, auch die Mise-en-scène und das Spiel der durchweg hervorragenden Darsteller, allen voran Éric Elmosnino in der Titelrolle, hat etwas comichaft Stilisiertes. Aber vielleicht passt das am besten zu dem Mann, der von sich sagte, er sei wie Micky Maus: »große Ohren und ein langer Schwanz«.
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