Kritik zu Foxtrot
Mit seinem Regiedebüt »Lebanon« gewann der israelische Filmemacher Samuel Maoz 2009 in Venedig den Goldenen Löwen. In seinem neuen Film widmet er sich erneut den Brüchen im Selbstbild der israelischen Gesellschaft – mit einer raffinierten und ins Herz treffenden Erzählung über einen Tod in der Familie
Die Frau, die eben die Türe geöffnet hat, schaut voller Entsetzen auf diejenigen, die vor ihr stehen. Dann kippt sie ohnmächtig um. Für eine Sekunde wird das Gemälde sichtbar, das hinter ihr an der Wand hängt, ein großflächiges Schwarz-auf-Weiß-Gekritzel, das Vierecke zeigt, vielfach aufeinandergelegte, immer kleiner werdend. Eine scharfkantige Spiralform, die einen Sog in die Tiefe entwickelt, Drehschwindel auslöst und einen hinab zieht in die Finsternis, in die Hölle.
Die Hölle liegt in Israel, und der Teufel, der es sich darin heimisch gemacht hat, tritt genussvoll auf der Stelle. Foxtrott heißt ein Standardtanz, der auf dem Parkett die Form eines Vierecks beschreibt: vor, zurück, zur Seite; vor, zurück, zur Seite, und so fort – am Ende ist der Tanzende wieder dort, wo er angefangen hatte. Simpel, effektiv. Aber eben auch ausweglos und verfahren. Wie der sogenannte Nahostkonflikt; und nein, das ist jetzt nicht weit hergeholt. Denn die da draußen vor der Türe stehen sind Soldaten der israelischen Armee, die den Feldmanns die Nachricht überbringen, dass ihr Sohn Jonathan ums Leben gekommen sei. Beziehungsweise, genauer: gefallen sei. In Erfüllung seiner Pflicht, versteht sich, und im Zuge seines Dienstes am Vaterland, den er an einer einsamen Schranke im Wüstenniemandsland versah. Einem jener zahllosen Checkpoints, die neben der Mauer, die Israel vom Westjordanland trennt, die paranoid-desolate Situation dieser Weltgegend augenscheinlich machen. So wie der Foxtrott.
Die Bewegung bei gleichzeitigem Stillstand gibt Samuel Maoz Film den Titel und beschreibt zugleich die Verfassung, die sein Gegenstand ist. Gemeint ist damit eine individuelle ebensowohl wie eine strukturelle Verfassung, die Gemütslage sowie die Staatsmentalität, Leute und Land. Gefangen in Hass und Trauma und Aggression und Schuldzuweisung und schlechtem Gewissen und Angst. Zunehmend eingeengt, mit schwindender Hoffnung und vom Untergang bedroht; wie die Baracke der Soldaten in der Wüste, die im Sumpf zu versinken droht. Jeden Tag neigt sie sich ein kleines Stückchen mehr.
Nach »Lebanon« (2009) ist »Foxtrot« erst der zweite Spielfilm des 1962 in Tel Aviv geborenen Maoz, und wie der Erstling ist er nach eigenem Drehbuch entstanden. »Lebanon«, bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Goldenen Löwen prämiert, verarbeitete Erfahrungen, die der Filmemacher als zwanzigjähriger Panzerkanonier im Libanonkrieg 1982 gemacht hatte. Die dafür gewählte filmische Form – das Innere eines Panzers inmitten des Konflikts, bleibt einziger Handlungsort, wodurch sich Klaustrophobie und Orientierungslosigkeit dem Publikum mitteilen – kündete nicht nur vom Stilwillen eines Künstlers, sondern auch von der Angriffslust eines kritischen Intellektuellen. Mit »Foxtrot« adressiert Maoz die Tabuthemen seines Heimatlandes neuerlich: den Schuldkomplex der Holocaust-Überlebenden; die blinden Flecken in den Herkunfts- und Familiengeschichten; die Sprachlosigkeit über vergangenen Schrecken und die undenkbaren Analogien, die daraus für die Gegenwart folgen. Dabei denkt Maoz in psychosozialen Dimensionen, die er um den politischen Kontext erweitert. Die geschilderten Einzelschicksale lassen sich auch stellvertretend lesen.
Die dafür nötige Abstraktion erreicht Maoz, indem er Distanz herstellt; beispielsweise wenn er die Kamera über dem Geschehen schweben lässt wie das göttliche Auge. Er erreicht sie, indem er die Langsamkeit und das Schweigen betont und dadurch Handlungen und Worte hervorhebt. Er erreicht sie vor allem über den Einsatz von Symbolen – eine aus dem Vernichtungslager gerettete hebräische Bibel wird gegen ein Herrenmagazin eingetauscht – und die Errichtung einer symbolischen Ordnung: die blitzsaubere Wohnung der Eltern hier, die schlammverkrustete Barackenunterkunft des Soldatensohnes dort. Oder das Kamel, das jeden Tag und ungehindert durchs Nadelöhr der Checkpointschranke eingehen darf. »Foxtrot« ist eine meisterlich und präzise konzipierte Analyse der gesellschaftlichen Gegenwart Israels.
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