Kritik zu The Forecaster
Marcus Vetter und Karin Steinberger porträtieren den amerikanischen Finanzanalysten Marty Armstrong, dessen Lebens- und Leidensgeschichte alle Zutaten für einen Thriller besitzt: Verschwörungen, Paranoia, vorhergesagte Crashs
Marty Armstrong hat einen Computercode im Kopf, dessen Besitz gefährlich wurde. 12 Jahre saß der 65-jährige amerikanische Fondsmanager und Finanzberater ohne Prozess im Knast, nachdem ihn das FBI 1999 unter dem Vorwurf des Anlagebetrugs nach dem Schneeballsystem verhaftet hatte. Armstrongs Computermodell ist darauf geeicht, globale Krisen und Crashs auf den Tag genau vorherzusagen. Nach bemerkenswerten Treffern wurden seine Kapazitäten für gierige Banker wie für die amerikanische Finanzpolitik interessant. Sein Sicherheitsexperte konnte die Hackerangriffe auf seine Firma Princeton Economics bis zur CIA-Zentrale in Langley zurückverfolgen. Ein scharfer Richter wollte den Inhaftierten zur Herausgabe von Geschäftsdaten zwingen und überdehnte dafür die Beugehaftregelung skandalös. Entlastungsmaterial der Börsenaufsichtsbehörde verbrannte beim Terrorangriff 9/11 im World Trade Center.
Marcus Vetter und seine Koregisseurin Karin Steinberger stießen auf die ungeschönten Analysen des »Forecasters« Armstrong, als sie um 2009 für ihr großes TV-Projekt Hunger die Folgen der weltweiten Rohstoffausbeutung und landwirtschaftlichen Industrialisierung recherchierten und dabei nach den Gewinnen des entkoppelten Finanzkapitals fahndeten. Ihr Dokumentarporträt The Forecaster setzt nach Armstrongs Haftentlassung 2011 ein. Es begleitet den freundlichen älteren Nerd bei der Wiederaufnahme seiner unter Fans legendären und teuren Marktanalysekonferenzen und holt in Kanada, Australien und den USA die Kommentare von einem halben Dutzend Männern mit Insiderwissen zu seiner Geschichte ein. Armstrongs Tochter, seine Mutter und er selbst schildern den fatalen Justizkrieg gegen ihre Familie.
All die sympathischen Köpfe des Films bilden Teile eines hochkomplexen Mosaiks, in dem die persönliche Leidensgeschichte des Protagonisten, mehrere dahinter zu vermutende Komplotte (darunter Banker, die ihn für dunkle Geschäfte benutzten, und die CIA, die sein Modell an sich reißen wollte) und nicht zuletzt sein Vorhersagesystem eine schillernde Projektionsfläche entfalten. Was der Film über Armstrongs Betriebsgeheimnis preisgibt, definiert die Macht des Schicksals neu.
Seit seinen frühen Gehversuchen im Goldhandel sammelte Armstrong die Daten und Verläufe historischer Staatsschulden- und Finanzkrisen in seinem PC. Er widerspricht den Stimmungsbarometern gängiger Börsenerklärer und zählt sich zu jenen, die nach zugrundeliegenden Zyklen forschen. Die Menschheit, sagt er, wiederhole ihre Fehler blind. Mit Hilfe der Zahl Pi gleicht die künstliche Intelligenz seines Computers Konstellationen ab und berechnet das Wiedereintreffen zyklischer Globalkrisen, denn alle 8,6 Jahre passiert so etwas laut seinem mathematischen Orakel. Man wird sehen. The Forecaster kommt jedenfalls gerade noch rechtzeitig in die Kinos, um uns die Implosion der europäischen Staatsschuldenkrise im Oktober 2015 vor Augen zu führen.
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