Kritik zu Eldorado
Das belgische Roadmovie gewann letztes Jahr in Cannes gleich zwei Preise – den der europäischen Kinobesitzer und den der jungen Cinephilen. Beste Voraussetzungen für einen zukünftigen Kultfilm?
Als der Autohändler Yvan (gespielt von Regisseur Bouli Lanners) eines Abends heimkehrt, findet er sein Haus verwüstet vor. In seinem Schlafzimmer spürt er zwar den Einbrecher auf, aber dieser will weder seine jämmerliche Beute, ein Einmachglas voller Centmünzen, hergeben noch aus seinem Versteck unter dem Bett hervorkriechen. Yvan gebricht es an der nötigen Tatkraft, sein Hausrecht durchzusetzen. Eine Überblendung entlarvt die Kläglichkeit seiner Drohgebärden, er ist ermattet in einem Sessel eingeschlafen; eine weitere stimmt den Zuschauer auf die Erwartung ein, dass das Tauziehen zwischen dem hasenfüßigen Einbrecher und dem kleinmütigen Hausherrn mindestens noch so lange andauern wird, bis einer von ihnen auf die Toilette muss.
Dass die Kontrahenten ihre Positionen dennoch irgendwann aufgeben, ist das erste kleine Wunder dieses Films. Yvan lässt sich von Elie (Fabrice Adde) leicht davon überzeugen, dass sein Einbruch kein Akt der Beschaffungskriminalität, sondern dem Wunsch geschuldet war, seine Eltern noch einmal zu besuchen. Es hätte Yvan ohnehin eine allzu große Gemütsanstrengung gekostet, Elie den Behörden zu überantworten. Er fährt ihn zur nächsten Kreuzung und willigt, als er ihn Stunden später noch immer dort stehen sieht, schließlich ein, ihn in seine Heimatstadt an der französischen Grenze zu bringen. Die Gegend um Lüttich ist nicht der aussichtsreichste Markt, um amerikanische Straßenkreuzer zu verkaufen. Das ist vielleicht die traurigste Erkenntnis, die das Genre bereithält: nichts Besseres zu tun zu haben.
In Belgien ein Roadmovie zu drehen, ist ein kompliziertes Unterfangen, hat Bouli Lanners über seinen Film gesagt: Kaum fährt man los, hat man das Land schon wieder verlassen. Gleichwohl löst »Eldorado« die trotzige Ambition ein, die Wallonie auf der Leinwand wie die USA aussehen zu lassen: Das Cinemascope-Format und die flache Landschaft gehen ein schönes Bündnis ein. Ohnehin ist Belgien im Kino ein vorzüglich geeigneter Ort, um die Absurditäten des Lebens zu bedenken, oder besser gesagt: widerstandslos hinzunehmen. Angesichts der Ratlosigkeit, in die das Land seine Kinobewohner stürzt, erweist sich Lethargie womöglich als Lebensschläue. Das anfangs etablierte Motiv des Verharrens färbt diesen dann allerdings doch bewegungsfreudigen Film wie eine unsichtbare Grundierung ein: Es wird in der Struktur der Dialoge aufgegriffen, die keinem Gebot dynamischer Entwicklung gehorchen wollen, sondern einem Mamet'schen Rhythmus des Insistierens folgen. Munter dementiert der Film seinen Titel; das Versprechen ungeahnter Möglichkeiten mag er seinen Helden nicht geben. Seine Triebfeder ist die Ahnung des Abwesenden – ein Männerfilm, dessen einzige weibliche Rolle Elies Mutter zufällt. Die Straßen sind geisterhaft menschenleer, die Orte, an denen haltgemacht wird, abweisend. Die Gegenwart trägt sich anderswo zu.
Aber die Straße ist das Einzige, was Yvan und Elie bleibt; in der Stadt werden sie einander abhandenkommen. Das große Paradoxon des Genres liegt ja darin, dass es sich in Begegnungen erfüllt, die folgenlos bleiben, aber nachhaltigen Eindruck hinterlassen. »Eldorado« ist reich an skurrilen Zusammentreffen: mit einem Nudisten, der sich als Alain Delon vorstellt; mit einem Chevrolet-Liebhaber, dessen Fuhrpark sich als Trophäensammlung verheerender Unfälle entpuppt. Bizarr ist die Welt gefügt, in der sie sich bewegen. Da tröstet es schon ein wenig, wenn einen der Reisebegleiter damit überrascht, dass er den Text der Nationalhymne kennt.
Denn insgeheim hat der Film aus der Überforderung der Figuren längst ein Band geknüpft, ein namenloses Gefühl mal väterlicher, mal brüderlicher Verantwortung. Der nicht verwundene Verlust der Wurzeln ist, wie in jedem anständigen Roadmovie, ihr Wegbegleiter. Der Besuch bei den Eltern scheint nurmehr eine hilflose, nicht mehr zukunftsweisende Geste zu sein. Elie, der in Wirklichkeit Didier heißt, gehört längst nicht mehr dorthin. Aber Yvan beharrt darauf, dass die Vergeblichkeit nicht das letzte Wort behält. Auf eine Reise zu gehen bedeutet, sich auszusetzen. Auch wenn Enttäuschung und Verrat an ihrem Ende stehen, heißt das nicht, dass man das Benzin vergeudet hat.
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