Kritik zu Ein Sommer in der Provence
Jean Reno spielt einen mürrischen Großvater, der die eigenen Enkelkinder erst kennenlernen muss – wozu eine Gruppe Biker und die Schönheiten der südfranzösischen Landschaft ihren Teil beitragen
Alle Wege führen nach Rom, doch der französische Film stellt diese alte Redewendung auf den Kopf. Hier fahren die Protagonisten in erstaunlicher Regelmäßigkeit weg vom Pariser Zentrum in die Provinz. Oder, wie in Rose Boschs entspannter Sommerkomödie, in die Provence. Dort lebt der wortkarge Paul, von Jean Reno so gespielt, als hätte Leon, der Profi, sich auf seinen Altersruhesitz zurückgezogen. Der bärbeißige Olivenzüchter bewohnt ein stilvoll verwittertes Bauernhaus, das wohl jede Frauenzeitschrift als Geheimtipp feiern würde. Touristen sind an diesem idyllischen Ort nicht willkommen. Hierher bringt seine Frau Irène (Anna Galiena) ohne Vorwarnung Pauls drei Enkelkinder – die er nie zuvor gesehen hat.
Der selbstgenügsame Naturmensch, der nur mit seinen Bäumen redet, und die lärmenden Pariser Großstadtkids: Dieser tausendmal gesehene Konflikt scheint nicht gerade den Stoff für einen Kinohit zu bergen. Doch nach Le Rafle (Die Kinder von Paris), ihrem bemerkenswerten Historiendrama über die Deportation jüdischer Jugendlicher, bleibt Rose Bosch ihrem Kernthema, den Kindern, treu. Mit Blick für Details denkt sie sich hinein in die beiden zwangsurlaubenden Jugendlichen Léa (Chloé Jouannet) und Adrien (Hugo Dessioux). Schönheiten der südfranzösischen Landschaft, die der Film in verschwenderischer Fülle präsentiert, lassen die beiden kalt, aber das schwächelnde Handynetz grenzt für sie an einen Super-GAU.
Weil Rose Bosch die vermeintlichen Nöte der Generation Smartphone ernst nimmt, gelingt ihr eine echte Pointe. Adrien meldet den einzelgängerischen Großvater heimlich bei einem sozialen Netzwerk an. Ein digitaler Streich mit unerwarteten Folgen, denn plötzlich knattern zwischen den Olivenbäumen schwere Harleys, die wie filmische Wiedergänger aus Easy Rider anmuten: Pauls vergessene Motorradfreunde. Mit dieser charmanten Mischung aus Ironie und überdrehtem Retroexzess, effektvoll unterlegt mit dem 60er-Jahre Hit-»Venus« von Shocking Blue, gelingt zugleich ein etwas anderer Brückenschlag: Der Aussteigergroßvater mit ausgeprägter Aversion gegen die Elektriktricks des Internets, profitiert unerwartet von moderner Kommunikation. Und die zunächst tödlich gelangweilten Teenager erfahren mit leuchtenden Augen, dass ihre Großmutter einst als Sexgöttin angebetet wurde.
Mit diesem Sommer in der Provence schüttelt Bosch eine typisch französische Stilübung aus dem Handgelenk, entspannt, unprätentiös und mit Gespür für Stimmungen. Immer wieder taucht der Film ein in die Perspektive des sechsjährigen Bruders Théo (Lukas Pelissier), der die ihn umgebenden Wunder der Natur auf die stille Sichtweise eines Gehörlosen entdeckt. Während des Abspanns erklärt die Regisseurin noch einmal, was sie da eigentlich gemacht hat. Auf einem Touchscreen lässt eine Frauenhand die schönsten Szenen Revue passieren und greift abwechselnd zu einer appetitlichen Frucht: Die nicht ganz zufällige Begegnung zwischen einer Erdbeere und einem Tablet-PC auf einem südfranzösischen Holztisch: Alltagssurrealismus zum Entspannen.
Kommentare
Ein Film wie Urlaub
Ein Feel-Good Movie für die ganze Familie, das wie ein Urlaub wirkt. Und für jeden ist etwas dabei, was ihm oder ihr unter die Haut geht. Im Mittelpunkt steht Opa Paul (ganz groß Jean Reno) ein grimmiger Alter, dessen Herz aufgeweicht und eingefangen wird. Und zwar von seinen Enkeln: allen voran der kleine Théo (Lukas Pelissier). Er ist stumm, aber auf Opas Herz von einem Eisblock wirkt er wie purer Sonnenschein. Dann die Teeny Geschwister Léa (Chloé Jouannet) und Adrien (Hugo Dessioux). Sie bieten Unterhaltung in der Sparte Erste Liebe, Frust und Neugier. Und mit dem Auftauchen von Pauls alten Freunden aus der Hippie-Flower-Power Zeit der 60er Jahre werden bei der älteren Generation herzerwärmende Erinnerungen geweckt, die schon mal nostalgische Freudentränen erzeugen können, wenn die Oldies auf Woodstock machen. Da kann sich niemand dem Soundtrack entziehen. Oma Irène (Anna Galiena) vermittelt an allen Fronten und verhindert das Schlimmste.
Das Ganze hat aber auch noch einen ernsten Hintergrund: der Konflikt zwischen Paul und Tochter Emilie (Raphaëlle Agogué). Er ist der eigentliche Auslöser für dieses Sommerabenteuer in der Provence und schwingt durch Andeutungen latent durch den ganzen Film mit. Am Ende wird er großartig gelöst. Opa Paul steht seiner Tochter Emilie am Bahnhof lange gegenüber. Man hört nicht, was sie sagen, aber Mimik und Gesten verraten ein deutliches aufeinander Zugehen. Eine geniale Lösung ohne Worte. Der Zuschauer kehrt beschwingt in den Alltag zurück – wie aus dem Urlaub. Toll!
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