Kritik zu Die Reise des Akkordeons
Drei kolumbianische Musiker in Schwaben: Rey Sagbini und Andrew Tucker dokumentieren das Aufeinandertreffen zweier höchst unterschiedlicher Musikkulturen
Es heißt, das Akkordeon sei durch eine Havarie nach Kolumbien gekommen, als in den 20er Jahren ein Frachter mit Instrumenten für die Tangosäle von Buenos Aires vor der karibischen Küste Schiffbruch erlitt und die geladenen Hohner Coronas an Land trieben. Danach bekam das Instrument eine Heimat auch in der kolumbianischen Kultur. Und in der Verschmelzung indigener, afroamerikanischer und kolonialer Traditionen einen ganz eigenen Sound. Eine der Stilformen ist der Vallenato, wie ihn Manuel Vega mit seinem Trio betreibt: Akkordeon, Trommel und eine Art Ratsche, die sich Guacharaca nennt. Die drei Vollblutmusiker sind gestandene, gewichtige Männer und nicht nur regional erfolgreich. Nur den wichtigsten Wettbewerb beim »Festival de la Leyenda Vallenata« konnten sie nie gewinnen. Und der scheint Voraussetzung, um neben dem musikalischen auch materiellen Erfolg zu haben und so den Armenvierteln von Cartagena zu entkommen.
Gerade haben sie es dort wieder einmal nur fast bis ganz oben geschafft. Da kommt ein Brief aus Deutschland mit der Einladung ins schwäbische Trossingen, Heimatstadt der deutschen Harmonikaindustrie und der Firma Hohner, deren Instrumente auch Manuel Vega spielt. Ein Hohner-Fertigungsleiter hatte einen Auftritt der Truppe gesehen und lädt sie zu einem gemeinsamen Konzert mit dem Hohner-Akkordeonorchester ein. Für die Kolumbianer mit den markant gestreiften Sombreros ist die Fahrt in den deutschen Winter die erste Auslandsreise überhaupt. So toben die drei Männer durch den ersten Schnee ihres Lebens. Schauen sich Neuschwanstein und Instrumentenbau an. Und lernen mit leichtem Befremden eine Musikkultur kennen, wo das Publikum auch bei den fetzigsten Sounds brav auf den Konzertstühlen sitzen bleibt.
Lange habe man um die Aufnahme des Akkordeons in die hehren Hallen der »ernsten Musik« gekämpft, erklärt ein Mitarbeiter dem Besuch. Für Manuel, Dinoisio und Jairo muss das wie Kauderwelsch klingen. Sie spielen ihre Musik bei Hahnenkämpfen oder in der Natur, auf dem Rummel oder im Stadion.
Viel gereist zwischen den Kontinenten sind auch die Hamburger Filmemacher Rey Sagbini und Andrew Tucker beim Dreh für diesen Film, Sagbini ist selber Kolumbianer. Ihr Film scheint mit seiner interkulturellen musikalischen Reise fast wie ein Sequel zu Viviane Blumenscheins Mittsommernachtstango, der im März eine argentinische Tangotruppe nach Finnland schickte. Nur dass die Kolumbianer ihren schwäbischen Gastgebern nicht annähernd so nahe kommen wie die Argentinier den Finnen und es an über das Förmliche hinausgehenden Begegnungen fehlt. Auch sonst bleibt der Blick des Films auf die deutsche Realität eher eng. Schließlich spielen im Akkordeonwesen längst Romamusiker zumindest die zweite Geige. Und Hohner gehört einer taiwanesischen Firma. Am Ende rückt dann wieder das Vallenato-Festival ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Stimmung ist sympathisch melancholisch, die Musik mitreißend.
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