Kritik zu Die große Versuchung
Wie bringt man einen verwöhnten Städter dazu, sich in einem heruntergekommenen Kaff in Neufundland niederzulassen? Mit einer maßgeschneiderten Scharade, die ihm dort den Himmel auf Erden verheißt
Zehn Jahre ist es her, dass die kleine kanadische Komödie Die grosse Verführung einen beachtlichen Kassenerfolg verbuchte, der gleichwohl auf dem US-Markt eingeschränkt blieb, da die Originalsprache Französisch war. Größere Chancen könnte dort nun das englischsprachige Remake haben, mit Brendan Gleeson und Taylor Kitsch obendrein hochkarätig besetzt. Die große Versuchung – der betont scherzhafte deutsche Titelzusatz: Lügen, bis der Arzt kommt – hält sich teils szenengenau an den Vorgänger. Das Rezept ist so einfach wie reizvoll: In der Tradition britischer Komödienklassiker wie Local Hero oder Lang lebe Ned Devine kollidieren da Stadt und Land, glatter Pragmatismus und knorrige Individualität, und ein Dorf kämpft trickreich gegen den Niedergang, irgendwie auch gegen die Kälte des Kapitalismus.
Im Hafen Tickle Head auf einer Insel vor Neufundland ist die Fischerei tot, Arbeit gibt es keine mehr. Einziger Hoffnungsschimmer: ein Ölkonzern könnte auf der Insel eine Fabrik errichten. Bedingung ist jedoch ein niedergelassener Arzt. So lotsen die Dorfbewohner den jungen Schönheitschirurgen Paul dorthin – mit dem Vorsatz, ihm ihr schäbiges Kaff mit allen Mitteln schmackhaft zu machen. Das bringt eine generalstabsmäßige Verschwörung in Gang. Mittels Abhöraktionen soll dem Städter der Ort als Inbegriff all seiner Wünsche verkauft werden. Das Ergebnis trägt Merkmale eines paranoiden Wahns, nur unter positiven Vorzeichen.
Paul liebt Cricket? Also mutieren die Hinterwäldler, die keinen blassen Schimmer von dem Spiel haben, zu Cricket-Fanatikern. Pauls Lieblingsgericht ist das indische »Lamm dhansak«? Genau dies ist die Spezialität der Hafenspelunke. Paul liebt Fusion? Ein Dörfler hört stundenlang heftige Improvisationen mit ihm an, was ihn unter gespielter Begeisterung fast in den Wahnsinn treibt. Und selbstverständlich soll auch die Dorfschönheit dem jungen Mann schöne Augen machen.
Bis zur Stunde der Wahrheit sorgen naturgemäß vor allem die Brüche in der Illusion für Pointen, sowie jene Momente, in denen bodenständige »Ureinwohner« von der eigenen Unverfrorenheit schockiert sind. Neben Brendan Gleeson überzeugt da besonders Gordon Pinsent, doch auch Taylor Kitsch als Stadtmensch, der die »Wunder« des Landlebens entdeckt, schlägt sich nach Actionfilmen wie John Carter und Lone Survivor recht wacker im Komödienfach.
Regisseur Don McKellar allerdings, den man bisher eher als Schauspieler (eXistenZ) oder als Drehbuchautor (Stadt der Blinden) kennt, verzettelt sich immer wieder im Timing, verpasst den rechten punch einer Situation, etwa beim gefakten Cricket-Match zu Pauls Ankunft auf der Insel: Die Szene scheint gerade witzig zu werden – da ist sie schon vorüber.
Viel schwerer wiegt allerdings, dass der Film überdeutlich sein Kalkül vor sich her trägt. So knorrig seine Protagonisten sind, so glatt ist die Inszenierung. Wäre nur das Drehbuch so formelhaft, wie ein solcher Stoff es eben nahelegt, ließe sich das bei subtilerer Umsetzung verschmerzen. Aber Feinsinn ist McKellars Sache nicht. Er zielt stets und vehement auf die volle Punktzahl in Sachen Feel-Good-Faktor und legt dabei gegenüber dem Publikum eine ähnlich platte Berechnung an den Tag wie das Hafenvolk gegenüber Paul. Schier unablässig dudelt die Folkore, gülden durchflutet das Licht die prächtige Landschaft, und schon das Intro erklärt die Welt. Früher war sie heil – harte Arbeit, kaum was zu fressen (aber lecker), guter Sex und alle glücklich! Heute geht alles den Bach runter. Wenn aber nur die Jobs nach Tickle Head zurückkehren, ist auch alles andere wieder gut, ganz ohne Lug und Trug, und frei von jeglicher Ironie.
Wie leider so oft in den gefälligeren Gefilden des Arthouse-Kinos sollte also das Gehirn bei Die große Versuchung ein paar Gänge herunterschalten, um das so stur angepeilte Wohlgefühl zu erreichen. Sonst wird der Film trotz einiger witziger Momente doch sehr schnell sehr fade.
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