Kritik zu Day Night Day Night
Hautnah und mit dokumentarischer Direktheit schildert Julia Loktev in ihrem minimalistischen Debütfilm die Vorbereitungen einer jungen Frau auf ein Selbstmordattentat mitten in New York
»Ich habe nur einen Tod, der soll für dich sein«, murmelt die namenlose, zierliche 19-Jährige, die in den heiligen Krieg zieht. Mit einer Rucksackbombe voller Nägel will die Selbstmordattentäterin an einem belebten Ort Manhattans möglichst viele Menschen mit in den Tod reißen. Abgeschottet in einem Hotelzimmer, trifft sie drei Männer, die sie einem paramilitärischen Drill unterziehen. Religiöse Obsession und kriminelle Energie werden ununterscheidbar.
Die minuziöse Schilderung der Vorbereitungen zählt zu den stärksten Momenten im Debütfilm der aus Leningrad stammenden New Yorkerin Julia Loktev. Hautnah bleibt die Kamera an der Hauptdarstellerin Luisa Williams, deren Ängste und Zweifel sich beklemmend direkt vermitteln. Von der Zündung der Bombe spüre sie, so einer der Terroristen beschwichtigend, »nur einen Mückenstich«. Später läuft die junge Frau mit ihrem 30 Pfund schweren Todesrucksack durch die Straßen New Yorks: Das pulsierende Leben schreit sie förmlich an. Als sie schließlich den Auslöser, einen MP3-Player, betätigen will, schrumpft die Welt zusammen auf ein Ensemble von Blicken und Gesten; all die in Gedanken versunkenen Menschen neben ihr, die sie bestialisch umbringen will, sind ihr plötzlich sehr nahe. Das hat etwas.
Obwohl der filmische Minimalismus stringent umgesetzt und die Hauptdarstellerin mit ihrem zurückhaltenden Mienenspiel beeindruckt, hat der Film doch erhebliche Längen und wird am Ende richtig zäh. Das liegt an dem problematischen Konzept der Regisseurin, die sich mit dokumentarischer Nüchternheit auf den rein technischen Aspekt eines Selbstmordattentates beschränken will. Dieses Thema funktioniert jedoch allein vor dem Hintergrund der Anschläge vom 11. September. Das Ziel der jungen Frau, der Times Square Ecke Broadway – im Volksmund als »Zentrum der Welt« bezeichnet –, ist nicht zufällig das symbolische Pendant zu den Twin Towers, an deren Baugrube die letzte Szene spielt.
Der vom Kleinen Fernsehspiel finanzierte Film ist eine abstrakte Meditation über das Selbstmordattentat. Der Bezug zum islamistischen Terror wird völlig wegretuschiert. Die junge Attentäterin ist weder einer Nationalität noch einer Religion zuzuordnen. Ihre Kontaktmänner sind durch Skimasken anonymisiert. Und als sie mit Gewehr und Patronengurt für das typische Bekennervideo posiert, bricht die Szene ab, bevor sie sagt, in wessen Namen sie tötet.
Man kann das als Vorsicht interpretieren: Julia Loktev will sicher nicht das Schicksal ihres niederländischen Kollegen Theo van Gogh teilen, der von islamistischen Fundamentalisten ermordet wurde. Da der Film aber den religiös motivierten Hass auf die »Ungläubigen«, die die 19-Jährige in den Tod reißen will, völlig ausspart, kreist die tunnelblickartige Konzentration auf die Attentäterin nur um eine große Leere.
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