Kritik zu Das Zimmer der Wunder
Alexandra Lamy spielt in der Adaption von Julien Sandrels Roman eine Mutter, die ihren verunglückten Sohn aus dem Koma erlösen will, indem sie dessen »Bucket List« abhakt
Alltag einer alleinerziehenden Mutter in Paris: Thelma (Alexandra Lamy) ärgert sich bei der Arbeit in einer riesigen Lagerhalle über den nörgelnden Chef und muss sich überdies mit den Nachwirkungen einer Prügelei ihres zwölfjährigen Sohnes auf dem Schulhof beschäftigen. Am Abend paukt sie Englisch, um beruflich voranzukommen, beim Frühstück übt sie Mathe mit Louis (Hugo Questel). Der Junge trommelt auf dem Weg zur Schule für sein Lieblingshobby (»Skaten ist auch Sport«), während die Mutter von einem Telefonat vereinnahmt wird: Die Arbeit ruft. Nach zehn Minuten wird dann in Lisa Azuelos' Film »Das Zimmer der Wunder« ein Eltern-Alptraum Wirklichkeit. Louis verunglückt mit dem Skateboard, erleidet intrazerebrale Blutungen und fällt ins Koma. Guillaume Schiffmans Kamera nimmt in pathosreicher Zeitlupe auf, wie Thelmas Leben aus den Fugen gerät.
Der Film nach dem Roman »La chambre des merveilles« von Julien Sandrel aus dem Jahr 2018 erzählt die Geschichte eines fantastisch, wenn nicht wahnwitzig anmutenden Plans. Louis' Mutter findet ein Heft, in dem der Sohn eine persönliche Liste hinterlegt hat: mit lauter Dingen, die er erledigen will, »bevor die Welt untergeht«. Diese Visionen will Thelma nun für Louis realisieren – mit dem Ziel, ihn aus dem Koma zu erlösen. Punkt eins ist bereits abgehakt. Es waren die Ohrfeigen für den Mitschüler.
Azuelos schickt ihre Hauptfigur auf eine Rettungsmission, die auch eine spirituelle Reise Thelmas zu sich selbst und einer lange verschütteten Lebensfreude ist. Das Krankenhauszimmer, das als kammerspielhafter Schauplatz der einseitigen Kommunikation zwischen Mutter und Sohn dient, verlässt Thelma unter anderem in Richtung Japan. Dort will sie sich von dem enigmatischen Manga-Zeichner KGI Louis' Skateboard signieren lassen. Lamy, die Thelma nach dem Unfall als Frau mit posttraumatischen Symptomen verkörpert hat, veranschaulicht nun, was eine Mutter vermag. Nach dem Abenteuer in Japan skatet sie mit Freunden von Louis vor spektakulärer Kulisse in La Seyne-sur-Mer an der Mittelmeerküste. Eine Geburtstagsfeier im Krankenhaus gestaltet sich wie ein indisches Frühlingsfest. In Portugal schwimmt Thelma mit Walen, mit dem sympathischen Nachbarn Étienne (Xavier Lacaille) konsumiert sie psychoaktive Pilze. Und Louis' Mathematiklehrerin fasst sie an die Brust.
Symbolsatte Bilder und surreale Effekte wie ein Wal-Ballett oder die optimistisch aufscheinende Sonne zwischen Hochhaustürmen spiegeln Seelenlandschaften der unbeirrt ihren Weg verfolgenden Thelma. Ein ums andere Mal touchiert der Film hier den Kitsch – aber findet immer wieder seine Balance. Eine wunderbar trockene Großmutter (Muriel Robin), eine beinharte Krankenschwester (Martine Schambacher) und Lacailles Étienne erden die märchenhafte Handlung mit komischen Akzenten. Und Lamy als Thelma verortet ihre charismatisch-kämpferische Figur immer wieder in der realen Welt, sei es am Arbeitsplatz oder auf der Suche nach Louis' Vater. Der Sohn hat ihn nie kennengelernt. Es ist sein größter Wunsch.
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