Kritik zu Das Massaker von Katyn

© Pandastorm Pictures

Andrzej Wajda ruft in seiner Romanverfilmung nicht bloß das polnische Trauma zwischen den Fronten von Hitler und Stalin als historische Lektion in Erinnerung, sondern stellt die psychischen Spuren eines aufgezwungenen Vergessens in den Mittelpunkt

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Der heute 83-jährige Wajda merkte zu seinem neuen Film an, dass sich die jungen Polen »mit vollem Bewusstsein und großer Begeisterung« von der Vergangenheit »entfernen«. Gegen diesen Geschichtsverlust interveniert er mit einer großen Elegie über das Massaker von Katyn, in dem der Senior des polnischen Kinos seinen Vater verlor.

Unter den nationalkonservativen Zwillingen Jarosław und Lech Kaczynski entstanden und angesichts der jüngsten russischen Dekrete, die Kritik an Stalin unter Strafe stellen, wirken Pathos und Beschwörung einer gespaltenen polnischen Identität wie ein demonstratives Statement, dessen Kontexte man sich in Westeuropa neu vergegenwärtigen muss. Bei Katyn nahe Smolensk ermordete ein perfekt organisiertes Erschießungskommando im Frühjahr 1940 über 20.000 polnische Offiziere und Zivilisten. Ein halbes Jahrhundert später offenbarten Gorbatschow und Jelzin in Dokumenten, dass das Massaker vom innersten Kern um Stalin und Geheimdienstchef Beria veranlasst worden war, um die polnische Elite auszulöschen.

Wajdas Film findet in seinen letzten Minuten verstörende, unvergessliche Bilder für die grausame Mechanik der Vernichtung. Die polnische Armee war nach dem deutschen Überfall 1939 aufgerieben und von der Roten Armee, die Ost-Polen im Schutz des Hitler-Stalin-Paktes annektierte, verhaftet und deportiert worden. Der Film zentriert die Episoden dieser letzten Wochen um die Freunde Andrzej (Artur Zmijewski), einen Ulanen-Rittmeister aus Krakau, und seinen Leutnant Jerzy (Andrzej Chyra), der am Ende im Dienst der Roten Armee überlebt und daran zerbricht. Andrzejs Frau Anna (Maja Ostaszewska) folgt ihrem Mann mit Tochter Nika an die Transportpunkte im Osten, aber aus männlich- militärischem Stolz weist er die letzte Chance auf eine gemeinsame Flucht ab. Episoden um Annas Überlebenskampf zwischen den deutschen und sowjetischen Fronten, um Andrzejs in Krakau von der SS deportierten Vater, die Generalsgattin Roza (Danuta Stenka) und die rebellische »Antigone« Agnieska (Magdalena Cielecka), die jeweils ihre Recherchen nach dem vermissten Mann beziehungsweise Bruder nicht aufgeben, erzählen den Katyn-Schock aus der Sicht der Frauen.

Als die Deutschen in die Sowjetunion einmarschierten, entdeckten sie die Massengräber 1943. Hitler setzte alles daran, sie für die eigene Propaganda zu nutzen. Doch mit der Etablierung der Kommunisten in Polen wurde Katyn nach Ende des Zweiten Weltkriegs als deutsche Gräueltat definiert, Beweise verschwanden, Angehörige wurden eingeschüchtert und zum Schweigen verurteilt. Filme, die die Nazis bei der Exhumierung der Leichen drehten, sollten mit neuem Kommentar für die sowjetische Propaganda funktionieren.

Hinter dem Titel »Das Massaker von Katyn« verbirgt sich so ein bitterer Trauergesang, der den subjektiven Umgang der Daheimgebliebenen und Heimkehrer mit der fatalen Geschichtspolitik des Kalten Krieges ebenso wichtig nimmt wie das von Krzysztof Pendereckis sinfonischer Filmmusik getragene Andenken an die Ermordeten.

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